Schöner Lügen: Ein kritischer Blick auf einen Gastbeitrag in „Die Zeit“

Die in Deutschland in den letzten Wochen vom Zaun gebrochene Waffenrechtsdebatte bietet wieder Roman Grafe eine Bühne, der seit 2009 immer aus dem Hut gezaubert wird, wenn es für Waffenrechtsverschärfungen und gegen Sportschützen zu agitieren gilt. So auch jüngst in der „Zeit“, wo er in dem wirklich sehr bemerkenswerten Gastbeitrag „Warten wir auf den nächsten Amoklauf oder handeln wir schon früher?“ das angeblich laxe Waffenrecht in Österreich und dem Rest der zivilisierten Welt anprangert.

Screenshot: https://www.zeit.de/2022/08/waffenbesitz-erwerb-oesterreich-amoklauf/

Bemerkenswert ist der Artikel aus zweierlei Hinsicht:

Erstens, mit welcher Raffinesse und Schreibkunst Herr Grafe es immer wieder schafft, Sachverhalte so geschickt zu umschreiben, dass er zwar selbst nicht der Lüge bezichtigt werden kann, sich durch die bewussten Unschärfen im Text die Lüge aber auch unausgesprochen beim Leser manifestiert.

Zweitens, dass dies nach mittlerweile fast 13 Jahren keinem Profi in den heiligen Hallen des Qualitätsjournalismus bei der „Zeit“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ aufgefallen ist. Oder man großzügig darüber hinwegsieht.

Ein Beispiel:

Warnungen und Kritik am österreichischen Waffenrecht gab es genug. „Warten wir auf einen ähnlichen Amoklauf, oder handeln wir schon früher?“, fragte 2007 die Linzer Anwältin Maria Navarro, die im März 1995 beim Amoklauf im Bezirksgericht Linz-Urfahr schwer verletzt worden war. Der Täter Rudolf K. hatte einst legal Waffen erworben und mit seiner Beretta-Pistole fünf Menschen erschossen. „Bis heute kann in Österreich praktisch jeder eine Waffe besitzen“, konstatierte Maria Navarro, die 1997 den Verein „Waffen weg!“ gegründet hatte.

https://www.zeit.de/2022/08/waffenbesitz-erwerb-oesterreich-amoklauf/komplettansicht

Quizfrage: Was kann der Leser bei der oberflächlichen Lektüre aus dem zitierten Absatz über den Status der Tatwaffe ableiten, war diese legal oder illegal im Besitz des Täters? Ein Tipp: Nichts an diesem Satz ist gelogen:

Der Täter Rudolf K. hatte einst legal Waffen erworben und mit seiner Beretta-Pistole fünf Menschen erschossen.

Natürlich war die Pistole legal, schließlich hat der Täter ja einst legal Waffen erworben und es war nun mal „seine“ Beretta-Pistole. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, dann ist man Herrn Grafe auf den Leim gegangen. Liest man dagegen in österreichischen Quellen über den Tathergang und die Hintergründe, stellt sich der Sachverhalt „etwas“ anders dar:

Noch in den späten Abendstunden konnte die Polizei das Drama rekonstruieren: Nachdem der Verhandlungsrichter Eugen K. (36) den 52-jährigen Beklagten Ludwig S. um 15.10 Uhr freigesprochen hatte, griff Kehrer zu seiner illegalen „Beretta“-Pistole, Kaliber neun Millimeter. Er schrie: „Was ist das für eine Gerechtigkeit“ und schoss auf den Verteidiger seines Gegners. Alfred E. (67) war sofort tot.

https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/6-Tote-bei-Amoklauf-im-Bezirksgericht-vor-15-Jahren;art4,348265

Es war also „seine“ Pistole, aber sie war illegal. Der Täter hat zwar tatsächlich „einst legal Waffen erworben“, aber nicht die Tatwaffe. Zum Zeitpunkt des Verbrechens besaß er nicht nur keine legalen Waffen mehr, gegen ihn wurde sogar ein Waffenverbot verhängt!

K. fiel bereits 1987 auf, als er seine damalige Ehefrau krankenhausreif schlug. Die Polizei fand auf seinem Dachboden vier Gewehre und eine Pistole sowie mehrere hundert Schuss Munition. Er gab an, Mitglied eines Schützenclubs werden zu wollen. Die Kripo beschlagnahmte die Waffen, zudem wurde über K. ein Waffenverbot verhängt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Urfahr

Wenn man zwei Stückchen Wahrheit derart geschickt kombiniert, kann in Summe beim unbedarften Leser eben doch eine Lüge ankommen. Kaum jemand wird sich die Mühe machen und die Aussagen des Herrn Grafe anzweifeln, kaum jemand wird selbst recherchieren, ob das in einer renommierten Zeitung Abgedruckte überhaupt stimmt. Diese Schauermärchen werden bedenkenlos geglaubt und dienen, einmal in die Welt gesetzt, als „seriöse“ Quelle, auf die man fortan immer wieder verlinken kann.

Fakten, die einzeln gesehen genau das Gegenteil der ständig propagierten Thesen belegen, so geschickt zu verweben, dass man am Ende dem Medienkonsumenten vom genauen Gegenteil überzeugen kann, ist schon Premium-Rabulistik auf Boss-Level. Das ist die höchst erfolgreiche Masche und genau auf solchen Fällen, bei denen tatsächlich polizeibekannte Gewalttäter mit illegalen Waffen morden, baut Roman Grafe äußerst geschickt seinen Feldzug gegen rechtstreue Sportschützen auf.

Aber es funktioniert eben nur so lange, wie niemand an der Oberfläche kratzt. Denn dann platzt die imposante, bunt schillernde Seifenblase und zurück bleibt ein kläglicher, feuchter Fleck.

So hält auch kaum eines seiner Beispiele aus dem „Zeit“-Gastbeitrag über den angeblich massenhaften Missbrauch legal besessener Schusswaffen für Gewaltverbrechen einer näheren Überprüfung stand:

  • „Lindau“, 2003: Beziehungstat, Mord mit anschließendem Selbstmord des Täter. Tatwaffe legal in Österreich erworben, ab Grenzübertritt und somit bei Tatbegehung in Deutschland illegal.
    https://www.vol.at/lindauer-beziehungsdrama-weitere-details/2630281
  • „Linz-Urfahr“, 1995: Amoklauf im Bezirksgericht. Tatwaffe laut Zeitungsartikel illegal, Grafe schreibt dagegen von „einst legal erworben“.
    https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/6-Tote-bei-Amoklauf-im-Bezirksgericht-vor-15-Jahren;art4,348265
  • „Hauptschule Zöbern“, 1997: Tatwaffe laut Grafe „legal erworbener Revolver“, der gehörte allerdings dem Vater des Täters. Auch in Österreich können 15-Jährige legal keinen Revolver besitzen. Somit bei der Tatbegehung illegal im Besitz des Täters.
    https://wiev1.orf.at/stories/58083
  • „Mauterndorf“, 1997: Angebliches Attentat eines „Sportschützen“. Im Netz findet sich kaum etwas konkretes zu diesem Massenmord bzw. zum Hintergrund des Täters. Lediglich auf auf einer für gewöhnlich gut informierten Seite wurde in anderem Zusammenhang und in einem Nebensatz auf die Illegalität der Tatwaffe hingewiesen.
    https://www.querschuesse.at/2020/02/25/aus-der-versenkung-aufgetaucht-2/
  • „Straßwalchen“, 1999: Beziehungstat mit vier Toten. Kein Wort zur Herkunft der Tatwaffe, aber der direkt nachfolgende Satz suggeriert zumindest, dass es sich um eine legal Waffen gehandelt hat: „Solche Blutbäder könnten „durch ein Waffenverbot nicht verhindert, aber zumindest erschwert werden“, erklärte der stellvertretende Salzburger Landeshauptmann Gerhard Buchleitner (SPÖ). „Jedes einzelne Leben, das gerettet werden kann, ist kostbarer als das Recht, eine Waffe zu besitzen.“
    Wie sehr „Waffenverbote“ Blutbäder verhindern, hat man ja 2020 beim Terroranschlag in Wien gesehen. Ein Vorbestrafter 21-Jähriger konnte sich problemlos verbotene Kriegswaffen mitsamt Munition beschaffen.
  • „Schildberg“, 2016: Familiendrama, laut Grafe „mit einer Walther-Pistole“. Dabei vergisst er zu erwähnen, dass die Pistole auf eines der Opfer registriert war und nicht auf die Täterin.
    https://www.noe.news/sechs-tote-bei-familiendrama-in-schildberg-boeheimkirchen/
    Sicherlich ganz zufällig hat Herr Grafe auch eine nur wenige Wochen zuvor in Wien stattgefundenes Familiendrama in seiner Aufzählung vergessen. Da wurde auch geschossen. Nur dummerweise war die Tatwaffe auch gleichzeitig die Dienstwaffe des Täters, eines Polizisten. Ein Umstand, der in der „Waffen nur in die Hände von Polizei und Militär“-Traumwelt natürlich nicht vorkommen darf.
    https://wien.orf.at/v2/news/stories/2802068/
  • „Kitzbühel“, 2019: Beziehungstat, verübt laut Grafe mit einer „ebenso legal erworbenen Waffe“. Auch hier stimmt das Geschriebenen nur deshalb, weil ein wesentliches Detail unerwähnt bleibt:
    „Nach der Zurückweisung durch den Vater fuhr der Mann wieder nach Hause. Er holte die Pistole seines Bruders vom Kaliber neun Millimeter, sie soll sich in einem Tresor befanden haben. Der Bruder, aktuell im Ausland, besitzt die Waffe der Polizei zufolge rechtmäßig und hat sie wohl auch ordnungsgemäß aufbewahrt.“ Auch hier war die Tatwaffe illegal im Besitz des Täters.
    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/kitzbuehel-unter-schock-oesterreicher-erschiesst-fuenf-menschen-aus-eifersucht/25088486.html

Roman Grafe geht mit acht Fällen hausieren, von denen bei sieben die Tatwaffe nicht legal im Besitz des Täters war. Bei angeblich „nicht nur in Österreich (durch Schusswaffen) unzählig(!!!) ermordeten Menschen“ sollte es doch möglich sein, wenigstens ein paar Fälle zu präsentieren, bei denen die Tatwaffen eindeutig legal im Besitz der Täter waren. Oder sollte es etwa dem Umstand geschuldet sein, dass es eben in diesem 27-Jahres-Zeitraum schlichtweg nur diese Handvoll spektakuläre Fälle gab, die dann auch noch „geringfügig“ passend gemacht werden mussten?

Es wird ein Geheimnis der „Qualitätsmedien“ bleiben, wie er mit seiner Masche immer wieder durchkommt und warum selbst die, vornehm ausgedrückt, gröbsten Übertreibungen für bare Münze genommen werden.

Scheinbar liefert er genau das, was man hören will und was perfekt in das Weltbild der verantwortlichen Chefredakteure passt. Ein Künstler, der für eine Kaste von der Realität entkoppelter Weltverbesserer Illusionen fabriziert und die Seifenblase weiter bunt schillern lässt. Fakten stören da nur.

Dieser Artikel wurde zuerst auf blaulichtblog.de veröffentlicht.

Ein Kommentar

  1. Lässt sich diesem Hetzer gegen und Jäger der unbescholtenen Waffenbesitzer nicht endlich das Handwerk legen? Hat denn schon mal irgendjemand das Vorgehen dieses „Top Journalisten oder doch eher mega Proktologie Fall“ auf den Tatbestand der Volksverhetzung juristisch überprüft? Wenn nötig, muss eben eine Crowdfundinginitiative zur Beschaffung der nötigen Mittel, um einen Rechtsgelehrten zu beschäftigen gegründet werden.

    Hallo Uwe,
    mir persönlich ist das Recht auf freie Meinungsäußerung heilig und da schließe ich selbstverständlich auch Herrn Grafe ein. Für mich ist es jedenfalls keine Option, gegen jemand mit einer abweichenden Meinung juristisch vorzugehen, so lange keine eindeutig rechtswidrigen Inhalte verbreitet werden.
    Gruß
    Benedikt

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