Kleiner Waffenschein, die 593ste…

Nach Weihnachten kommt Fasching und spätestens vor Ostern rauschen wieder Artikel zum Dauerbrenner-Thema „Kleiner Waffenschein“ durch den Blätterwald, dass es nur so zum fremdschämen ist. Jedes Jahr die gleichen Fehlschlüsse, die gleichen Fehlinterpretationen und die gleichen Bedenken. Wie man zusätzlich noch durch den Vergleich willkürlich gewählter Zeiträume eine „Zahlen-Explosion“ herbeischreibt, zeigt diesmal Nikos Kimerlis in der WAZ. (Leider Paywall)

Screenshot: https://www.waz.de/

Einen sprunghaften Anstieg verzeichnet die Polizei Gelsenkirchen beim Thema „Kleiner Waffenschein“: Die Zahl der Anträge und die Zahl der Bewilligungen erreichten mit Wachstumsquoten jenseits der 80-Prozent-Marke ein Fünf-Jahres-Hoch. (…)

Im vergangenen Jahr sind nach Angaben von Polizei-Sprecher Stephan Knipp 500 Anträge gestellt und 470 Erlaubnisse erteilt worden. Das entspricht einer Zunahme von 84 respektive 88 Prozent innerhalb von fünf Jahren. 2019 lag die Zahl der Anträge lediglich bei 265 und die Menge der Bewilligungen nur bei 255. Spitzenreiter war allerdings das Jahr 2018 mit 716 Genehmigungen.

https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/article241919906/Gelsenkirchen-Zahlen-Explosion-beim-Kleinen-Waffenschein.html

Der „sprunghafte Anstieg“ existiert demnach nur, wenn man den willkürlich gewählten Vergleichswert aus 2019 zugrunde legt. Im Vergleich zu 2019 gab es heuer 84% mehr bewilligte Kleine Waffenscheine. Hätte man sechs statt fünf Jahre zurückgeblickt, stände ein Rückgang von 35% zu Buche, aber mit „Dramatischer Einbruch“ statt mit „Zahlen-Explosion“ zu titeln wäre weit weniger geeignet, um die Leser zu erschrecken.

Leider werden dem geneigten Leser die eigentlich interessanten Zahlen von 2022, die den direkten Vergleich zum Vorjahr ermöglichen würden, vorenthalten. Man kann nur mutmaßen, warum. Vermutlich würde da der „Fünf-Jahres-Vergleich“ zum „Spitzenreiter 2018“ einen noch größeren Absturz dokumentieren.

Doch weiter im Text, es wird leider nicht besser:

Das Zehn-Jahres-Hoch von rund 180.000 registrierten Kleinen Waffenscheinen aus dem Jahr 2022 ist gleich zweimal hintereinander übertroffen worden. Dem Innenministerium zufolge waren Ende Februar 2023 in NRW 198.110 Kleine Waffenscheine registriert, Ende Februar 2024 weist die Statistik des Innenministeriums schon 217.730 Kleine Waffenscheine aus (+10 Prozent). 2015 lag ihre Zahl in NRW weit unterhalb dieser Werte – nämlich bei knapp 71.000.

Wow, was für eine besorgniserregende Erkenntnis! Gleich zweimal hintereinander ist die Anzahl einer Erlaubnis übertroffen worden, die unbefristet erteilt wird und weder abläuft, noch erneuert werden muss! Deren Anzahl zwangsläufig so lange steigt, bis entweder das Gesetz geändert wird oder irgendwann die Demografie zuschlägt und mehr langjährige Erlaubnisinhaber wegsterben, als neue dazukommen. Wo soll denn die nächsten Jahre ein möglicher Rückgang herkommen, erwartet man etwa vom Bürger die freiwillige Rückgabe einer Erlaubnis, die man teuer bezahlen musste?

Oder aber die Politik entschließt sich, diesen Nonsens mit dem Kleinen Waffenschein wieder zu beenden und den Zustand von vor 2002 wiederherzustellen, als man ab 18 Jahre SRS-Waffen ohne extra Erlaubnis führen durfte. Die Behörden sparten sich zehntausende Verwaltungsvorgänge, dieBürger viel Zeit und Geld. Nur der schreibenden Zunft würde ein jährlich wiederkehrendes Thema abhanden kommen. Und natürlich bewahrte es Polizeifunktionäre davor, die ihnen zuteil gewordene Aufmerksamkeit dafür zu nutzen, sich komplett zum Löffel zu machen:

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Bereits die früheren Zahlen haben sie zu dem Schluss kommen lassen, „dass die Menschen glauben, das Thema Sicherheit selbst in die Hand nehmen zu müssen“. Die Gewerkschaft bewertet den Kleinen Waffenschein „als trügerische Sicherheit“, weil der Einsatz von Schreckschuss- oder Gaswaffen dazu führen könne, dass Situationen eskalierten. Die GdP fordert, dass der Verkauf von Schreckschusswaffen über lizenzierte Stellen abgewickelt werden muss. Zudem müsse die Eignungsprüfung verschärft werden.

Wie beruhigend, wenn einem GdP-Funktionär nicht die Bewaffnung von kriminellen Banden mit illegalen (Kriegs-)Waffen die größte Sorge bereitet, sondern die Einholung einer gebührenpflichtigen waffenrechtlichen Erlaubnis zum Führen einer Platzpatronenpiffe durch rechtstreue Bürger!

Wenn dann dieser Funktionär noch der Ansicht ist, dass hierzulande der gewerbliche Handel mit SRS-Waffen regelmäßig außerhalb von „lizenzierten Stellen“ stattfindet und dafür keine Waffenhandelserlaubnis erforderlich sei, dann ist das symptomatisch für den Umgang mit diesem Thema: Viel Meinung, kaum Wissen, null Substanz.