Ein Vorwort von Vizepräsident Wilhelm Bernstein in der Verbandspostille „Sachsenjäger“ des Landesjagdverband Sachsen e. V., erhitzt derzeit die Gemüter.
Grund für die Empörung sind unbequeme Fragen, die Herr Bernstein an sich bzw. seine Weidgenossen stellt:
Sind alle Jagdscheininhaber tatsächlich Jäger? Oder ist es der leichteste Weg, recht unproblematisch
an Waffen und Munition zu kommen? Stellt sich die Frage: haben alle 14.244 Jagdscheininhaber das tatsächliche
Bedürfnis nach der Jagd?Jeder Sportschütze muss durch Mitgliedschaft in einem Verein und regelmäßiges, von der Behörde geprüftes
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Pflichtschießen sein Bedürfnis nachweisen! Wir Jäger nicht. Ist das richtig, dass wir es zulassen, dass ohne die praktizierte Jagdausübung und ohne jegliche Weiterbildung Jagdscheininhaber Waffen und Munition besitzen?
Eine massive Grauzone! Nimmt man als Indiz dafür die Zunahme des kleinen Waffenscheins um 88.900 auf 231.700 im Vorjahr, ist zu vermuten, dass es für eine nicht unerhebliche Zahl an Jagdscheininhabern der langfristig erfolgreichste Weg ist, an eine nahezu unbeschränkte Zahl an Langwaffen und Munition zu kommen.
Dies endet in der Feststellung
Das kann nicht im Interesse der aktiven passionierten Jägerschaft sein!!!
Um zunächst die Eingangsfrage von Herrn Bernstein zu beantworten:
Nein. Nicht alle Jagdscheininhaber sind tatsächlich Jäger. Genau so wenig, wie alle Sportschützen ein Interesse am Schießsport haben.
Leider zieht Herr Bernstein die falschen Schlüsse aus der Erkenntnis, dass es „Jäger“ gibt, bei denen wohl eher der legale Zugang zu erlaubnispflichtigen Schusswaffen und Munition die Motivation zur Erlangung des Jagdscheins ist und nicht die Jagdausübung:
Um unser Bedürfnis nach der Jagd nachzuweisen, muss eine Mitgliedschaft in einer anerkannten Vertretung der Jägerschaft Pflicht sein.
(…)
Um unseren legalen Waffenbesitz auch in Zukunft nicht zu gefährden, macht es aus meiner Sicht eindeutig Sinn, über mögliche und/oder notwendige Maßnahmen zu diskutieren. Wir als Jäger sollten alles dafür tun, dass unser Waffenbesitz aufgrund unseres jagdlichen Bedürfnisses nicht in Frage gestellt wird. Missbrauch und Unfälle führen immer nur zu Diskussionen in der Öffentlichkeit und zu populistischen Entscheidungen in der Politik. Ich halte die Zeit für reif, dass wir uns selbst und unser Bedürfnis nach der Jagd mit einer solchen Forderung schützen. Ich habe Angst davor, dass uns, allein in Sachsen, aus den ca. 9.000 nicht organisierten Jagdscheininhaber-Waffen, mit einem unbekannten Bestand an Waffen ein Problem erwächst
Die Angst vor einem „unbekannten Bestand an Waffen“ dürfte bei den Behörden bekannten und regelmäßig überprüften Erlaubnisinhabern mit registrierpflichtigen Waffen in Zeiten des „Nationalen Waffenregisters“ wohl eher unbegründet sein. Ob die Verbandslosigkeit der 9.000 nicht organisierten Jäger gleichbedeutend ist mit einer höheren Anzahl von Unfällen oder weniger ausgeprägten Schießfertigkeiten, darf zumindest bezweifelt werden, so lange keine Zahlen vorgelegt werden, die hier eindeutig einen Zusammenhang belegen.
Das ist aber alles gar nicht der springende Punkt:
Herr Bernstein fürchtet um den guten Ruf der Weidmänner durch Anscheins-Jäger, die eigentlich nur der Waffenbesitz interessiert. Das ist nachvollziehbar, die daraus abgeleitete Forderung, politisch für eine Zwangsmitgliedschaft in jagdlichen Verbänden zu lobbyieren, nicht.
Der eigentliche Grund für viele Anscheins-Schützen oder Anscheins-Jäger ist das deutsche Bedürfnisprinzip, das einem an legalem Besitz erlaubnispflichtiger Schusswaffen interessierten Bürger gar keine andere Wahl lässt, als Jäger oder Sportschütze zu werden.
So lange der Zugang zum Schießsport vergleichsweise leicht war, spielte der Jagdschein als Alternative auch keine große Rolle. Da aber nahezu sämtliche Waffenrechtsverschärfungen seit der Jahrtausendwende zu Lasten der Sportschützen gegangen sind, wird der Jagdschein zunehmend attraktiver. Während man sich als Sportschütze mit Altersgrenzen, vom Schießsport ausgeschlossenen Waffenkonfigurationen, Erwerbsstreckungsgebot, kastrierter Sportschützen-WBK und anderen oft völlig willkürlichen Auflagen und Verboten herumärgern muss, gelten diese Einschränkungen für Jagdscheininhaber nicht. Deshalb wird auch eine Zwangsmitgliedschaft in einem Jagdverband keinen „Bedürfniszweckentfremder“ davon abhalten, auch dafür noch Geld auszugeben, wenn es denn sein muss.
Tatsächlich hat der Landesjagdverband Sachsen wohl nur ein Problem mit solchen Anscheins-Jägern, so lange sie nicht zahlendes (Zwangs-)Mitglied in ihrem Verband sind. Es geht unterm Strich also nicht um befürchtete Imageschäden, sondern ums Geld.
Auch die Stellungnahme vom Präsidenten des Landesjagdverband Sachsen, Frank Seyring, zu der sich dieser genötigt sah, geht in diese Richtung.
Dessen Verweis im letzten Absatz auf Österreich ist aber sachlich völliger Käse. In Österreich muss niemand auf dem Papier „Jäger“ oder „Sportschütze“ werden, bloß weil er legal erlaubnispflichtige Schusswaffen erwerben möchte. Waffen der Kategorie C, dazu zählen sämtliche Jagdrepetierer, sind ab 18 Jahren frei erwerbbar. Für den Erwerb mehrschüssiger Kurzwaffen reicht das Bedürfnis „Selbstverteidigung“. Deshalb gibt es dort nicht wie in Deutschland viele „Jäger“, die eigentlich nicht jagen wollen und keine „Sportschützen“ ohne jegliches Interesse am Schießsport.
Die deutschen Jagd- und Schießsportverbände möchten nicht durch „Waffenbeschaffer“ in ein schlechtes Licht gerückt werden. Besonders, wenn in seltenen Fällen diese Waffenbeschaffung mit einer kriminellen Absicht erfolgt. Das ist verständlich. Allerdings wäre der einfachste Weg um dies sicher zu verhindern ein zusätzlicher anerkannter Bedürfnisgrund, um unbescholtenen Bürgern den legalen Waffenbesitz ohne Umweg Jagd bzw. Sport zu ermöglichen. Dann muss niemand gegen seine Interessen „Jäger“ oder „Sportschütze“ werden und die Angst der Verbände vor schwarzen Schafen in ihren Reihen wäre weitestgehend gebannt. Genau dafür, sozusagen für ein österreichisches Waffenrecht, müssten die Verbände politisch lobbyieren, wenn sie keinen unerwünschten Beifang in ihren Reihen wollen.
Damit sinkt aber auch die Zahl von (potenziellen) Zwangsmitgliedern in Jagd- oder Schießsportverbänden und damit die Einnahmen, der politische Einfluss und die Wichtigkeit der Funktionäre. So steht zu befürchten, dass es weiterhin die Verbände sind, die zur Sicherung der eigenen Pfründe jedem Versuch, das deutsche Waffengesetz zu modernisieren und von alten Zöpfen und unnötigem Ballast zu befreien, im Wege stehen.