Kerstin Herrnkind (Stern) und die dümmste Relativierung des Jahres

Juhu. Endlich mal wieder eine Tötungsdelikt, bei dem der Täter eine anscheinend legal besessene Sportwaffe als Tatmittel verwendet hat. Endlich mal wieder etwas aktuelles. Endlich mal wieder nicht immer die gleichen, Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegenden Fälle bemühen zu müssen, mit denen man die Leserschaft vor den alltäglichen Gefahren des legalen, privaten (Sport-)Waffenbesitzes so gerne ängstigt. Endlich mal wieder Gelegenheit, Roman Grafe und seine haarsträubend-willkürlich zusammengeschusterte „Sportmordwaffenopfer“-Statistik bemühen zu können. Aktuell im „Stern“-Artikel „Tödliche Schüsse in Bramsche – Behörde hatte keine Kenntnis von Waffenbesitz des mutmaßlichen Täters“ aus der Feder von Kerstin Herrnkind zu lesen.

So weit, so vorhersehbar.

Solche Hetz- und Diffamierungsartikel gab es in den letzten 20 Jahren zuhauf. Nach „Erfurt“, nach „Winnenden“, nach „Plochingen“, nach „Lörrach“, nach „Halle“, nach „Hanau“ Und jetzt eben nach „Bramsche“. Zehntausende andere Tötungsdelikte mit zehntausenden Opfern in dieser Zeit interessieren nicht die Bohne. Die hatten eben nicht das „Glück“, dass der Täter zum Töten eine legale, erlaubnispflichtige Feuerwaffe verwendete, sondern ein für die Medien unspektakuläres und damit uninteressantes Tatmittel wählte. Hände, Messer, Äxte, Knüppel, leicht entzündbare Flüssigkeiten, Säure, illegale Schusswaffen.

Was man Frau Herrnkind vorwerfen muss, ist die dümmste Relativierung des Jahres:

Demnach sind zwischen 1990 und 2022 inzwischen fast 300 Menschen von Sportschützen erschossen worden.

Zum Vergleich: Die Links-Terroriste von der Roten Armee Fraktion (RAF) haben 34 Menschen ermordet.

https://www.stern.de/gesellschaft/bramsche–behoerde-wusste-nichts-von-waffenbesitz-des-mutmasslichen-taeters-33249142.html

Erstens ist Frau Herrnkind Herrn Grafe auf den Leim gegangen. Dessen „Statistik“ wird nämlich nicht überschrieben mit „Getötet von Sportschützen“. Dort steht „Getötet mit Schußwaffen von Sportschützen„.

Screenshot: https://www.sportmordwaffen.de/opfer.html

Durch diesen Kniff kann man diese „Statistik“ um jeden Fall erweitern, so lange entweder ein „Sportschütze“ der Täter bzw. eine „Sportwaffe“ das Tatmittel war. Taten mit gestohlen Sportwaffen durch Nicht-Sportschützen passen damit ebenso ins Raster, wie wenn der Täter zwar mit einer illegal besessenen Waffe tötet, aber irgendwann im Leben mal angeblich „Sportschütze“ war. Frau Herrnkind hat das nicht bemerkt oder es hat sie schlichtweg nicht interessiert, weil die Quelle in ihr Weltbild passt. Kein Ding, das kennt man von Dutzenden anderen Artikeln aus anderen Blättern von anderen Autoren genau so.

Was aber gar nicht geht, das ist die Instrumentalisierung und Relativierung der Opfer des RAF-Terrors. Beim Leser soll der Eindruck entstehen, dass 300 Sportmordwaffenopfern „nur“ 34 durch die vielleicht ja doch nicht so schlimmen Linksterroristen gegenüberstehen. Motto: „Seht her, die Terroristen haben nur 11% so viel Opfer hinterlassen, wie die Sportschützen!“

Natürlich klappt dieser billige Trick nur, wenn man ausschließlich die korrekt dokumentierte Opferzahl des RAF-Terrors mit der Graf’schen Anzahl angeblicher „Sportschützenopfer“ vergleicht und Zeit und Bezugsgrößen völlig außer acht lässt.

Laut Wikipedia hatte die RAF einen harten Kern von bis zu 80 Personen, 914 Personen wurden wegen deren Unterstützung verurteilt. Insgesamt also knapp tausend Personen, die die Ziele dieser Terroristen aktiv oder passiv unterstützten:

Die Anzahl der im Untergrund aktiven Mitglieder des sogenannten harten Kerns aller drei Generationen betrug zwischen den 1970er und 1990er Jahren zusammengefasst zwischen 60 und 80 Personen. Wegen Unterstützung der RAF wurden im gesamten Zeitraum 914 Personen verurteilt, wegen Mitgliedschaft 517.[3]

https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Armee_Fraktion#%C3%9Cberblick

Der DSB verfügte in dieser Zeit laut dessen Statistik über die Mitgliederbewegung in 1968 über 664.963 und im Jahr 1998 gar über 1.568.770 Mitglieder. Rechnet man den Mitgliederdurchschnitt der Jahre 1968 – 1998 aus, kommt man auf einen Mittelwert von 1.169.806. Dem stehen pro Jahr zehn angebliche Sportmordwaffenopfer gegenüber. Das sind 0,85 pro 100.000 Mitglieder.

Die gleiche Rechnung bei tausend RAF-Mitgliedern/-Helfern und im Schnitt einem Opfer pro Jahr in diesen 30 Jahren ergibt hochgerechnet auf ebenfalls 100.000 eine Opferzahl von 118. Bezieht man nur den harten Kern von 80 Personen in die Rechnung ein, kämen auf hochgerechnet 100.000 RAF-Mitglieder 1.250 Opfer. Die Quote der RAF ist demnach zwischen 139- bis 1.470-mal höher, als die der „Sportmordschützen“.

Kerstin Herrnkind schreibt völlig unkritisch bei Roman Grafe bzw. einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 21.10.2010 ab und verbreitet diese „Erkenntnisse“ ohne jegliche Einordnung der zugrunde liegenden Zahlen. Für den Pulitzer-Preis reicht das nicht, aber immerhin wäre sie damit Top-Favoritin für den Titel „Dümmste Relativierung des Jahres“ in der Kategorie „Verhöhnung der RAF-Opfer“.

Herzlichen Glückwunsch!