Kleiner Waffenschein: „Spiegel“ und GdP-Funktionär mal wieder „besorgt“

Es ist Ende Februar und das ist die Jahreszeit, in der seit einigen Jahren regelmäßig der „Kleine Waffenschein“ (KWS) durch den Blätterwald rauscht. Wie das bei einer sich über Jahre gepflegten Folklore gehört, folgt die Berichterstattung oft einem bestimmten Ritus:

  • Der Feststellung, wie viele Kleine Waffenscheine es mittlerweile in Deutschland oder einer bestimmten Region gibt
  • Der gerne zum Skandälchen aufgeblasene Feststellung, dass die Anzahl der KWS gegenüber dem Vorjahr sogar gestiegen ist
  • Das obligatorische Befragen eines Polizeigewerkschafters, der sich „besorgt“ über diese Entwicklung zeigt

Dieses Grundgerüst wird dann bei Bedarf gerne noch erweitert mit volksbelehrenden Phrasen. Demnach seien SRS-Waffen ja für das Opfer gefährlicher als für den Täter oder dass die Kriminalität ohnehin rückläufig sei und es gar keinen Grund dafür gäbe, sich „zu bewaffnen“.

Reck Commander Gaspistole
Foto: Eigenes Werk

Auch die aktuelle Meldung des „Spiegel“ bildet da keine Ausnahme – und liefert den ersten sachliche Fehler bereits in der Überschrift:

Immer mehr Bundesbürger melden eigene Gas- und Schreckschusswaffen an

Quelle: spiegel.de

Kurz und knapp: Bullshit. Es gibt in Deutschland derzeit keine Registrierpflicht für SRS-Waffen und kein Bundesbürger kann seine SRS-Waffen irgendwo in Deutschland registrieren lassen. Zumindest nicht, so lange es sich um solche Modelle handelt, wie sie im Fachgeschäft in Deutschland legal ab 18 Jahren erworben werden können.

Daten des Nationalen Waffenregisters demonstrieren, wie drastisch der Zuwachs der Kleinen Waffenscheine ist: Wurden Ende 2020 noch 705.506 solcher Scheine registriert, stieg die Zahl binnen einem Jahr auf 740.038 und lag zu Silvester 2022 bei 781.186. Demnach legen die Registrierungen immer stärker zu.

Unbeachtet bleibt dabei, wie viele Gas- und Schreckschusswaffen sich tatsächlich zusätzlich in den Haushalten befinden, die nicht registriert wurden.

Quelle: spiegel.de

Ja, was für ein drastischer Zuwachs: Während sich die Zahl der erteilten KWS von 2020 zu 2021 nur um läppische 4,89 Prozent erhöht hat, sind es im Zeitraum 2021 zu 2022 nun dramatische 5,56 Prozent. Zum Glück wird man durch den Redakteur auf diese dramatische Steigerung hingewiesen, sonst hätte das mancher Leser womöglich gar nicht bemerkt. Leider ist es auch nach bald 20 Jahren KWS noch nicht in die darüber schreibenden Redaktionsstuben durchgedrungen, dass diese Erlaubnis unbefristet erteilt wird und die Anzahl schon von daher jährlich steigt.

Ansonsten findet der Fehler aus der Überschrift in diesem Absatz seine Fortsetzung. Wieder wird dem waffenrechtlich unbedarften Leser suggeriert, es gäbe so etwas wie eine Registrierpflicht für SRS-Waffen.

Bei der Polizei zeigt sich Unverständnis über den ungebremsten Wunsch nach mehr Waffen. »In einem sicheren Land wie Niedersachsen gibt es eigentlich keinen Grund, weshalb sich Privatleute bewaffnen müssten«, sagt Kevin Komolka, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Niedersachsen. Die Polizei als Vertreterin des Staates habe nicht ohne Grund das Gewaltmonopol. Sie sei dafür da, allen Bürgerinnen und Bürger Schutz zu bieten. »Die Zunahme der Kleinen Waffenscheine ist bedenklich.«

Quelle: spiegel.de

Wie genau es 19.500 Polizeibeamte in Niedersachsen sicherstellen sollen, knapp acht Millionen Einwohnern permanenten „Schutz zu bieten“, bleibt Herr Komolka den Lesern schuldig. Auch „in einem sicheren Land wie Niedersachsen“ wurden 2021 472.096 Straftaten registriert, inklusive 370 Tötungsdelikte, 10.674 Sexual- sowie 72.360 Rohheitsdelikte.

In einem freiheitlich-demokratisch verfassten Rechtsstaat sollten insbesondere Polizeifunktionäre keinerlei Probleme damit haben, wenn sich rechtstreue Bürger bewusst sind, dass ihnen im Fall der Fälle eben kein Polizist zur Seite steht und sie davor schützt, wehrloses Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Auch scheint es in den Reihen der Polizeifunktionäre Defizite zu geben, was genau das „Gewaltmonopol“ des Staates bedeutet. Für Herrn Komolka scheint die Beantragung eines KWS gleichbedeutend zu sein mit der Absicht, zukünftig Recht und Gesetz in die eigenen Hände nehmen zu wollen. Vielleicht sollten sich auch GdP-Funktionäre einfach mal mit den Statistiken befassen, die ihre Kollegen erstellen:

Die registrierten 2021 in Niedersachsen 2.977 Verstöße gegen das Waffengesetz und damit 533 weniger als 2020, 824 weniger als 2019 und sogar 1.090 weniger als noch 2018. Mehr Kleine Waffenscheine führen demnach auch in Niedersachsen nicht zu mehr Verstößen gegen das Waffenrecht. Trotz oder vielleicht sogar wegen mehr erteilter KWS sinkt die Zahl der Waffenrechtsverstöße sogar seit Jahren.

Da viele Schreckschusspistolen echten Waffen ähnlich sehen, führe dies immer wieder zu gefährlichen Situationen bei Konflikten oder im Kontakt mit der Polizei. Wie zuletzt die Bilder aus der Silvesternacht gezeigt hätten, sehe die Polizei überdies immer wieder, »dass mit Schreckschuss-, Reizgas- und Signalwaffen unsachgemäß umgegangen wird, wovon ein nicht zu unterschätzendes Verletzungsrisiko ausgeht«, sagte Komolka.

Quelle: spiegel.de

Wenn die Bilder aus der Silvesternacht in Berlin etwas gezeigt haben, dann war das der Rückzug der Polizei vor einem gewalttätigen, kriminellen Mob. Dort konnte man zusehen, wie wenig die Polizei im Ernstfall in der Lage sein wird, den von Herrn Komolka großspurig verkündeten „Schutz für alle Bürger“ auch nur annähernd zu gewährleisten.

Als Polizeifunktionär sollte man sich dafür einsetzen, dass so einem kriminellen Mob nie wieder von der Polizei der öffentliche Raum überlassen werden darf. Stattdessen erklärt man lieber die Rechtstreuen zur potenziellen Gefahr und versucht unbescholtene Bürger von der Erlangung einer kostenpflichtigen waffenrechtlichen Erlaubnis abzuhalten, die vor April 2003 überhaupt nicht erforderlich war.