Es war einmal ein mäßig erfolgreicher Autor, der eine Nische besetzte und ständig andere Leute an Stellen kratzte, an denen es diese Leute nach seiner maßgeblichen Meinung gefälligst zu jucken hätte.
Da es die meisten seiner Mitmenschen aber an ganz anderen Stellen juckte, als er ständig kratzte, versuchte er bei sich jeder bietenden Gelegenheit, diese auf ihre Ignoranz hinzuweisen und sie über die korrekten Juckstellen zu belehren.
Doch so sehr er auch nach Anlässen suchte, der Öffentlichkeit zu ihrem Glück zu verhelfen, so sehr machte ihm die Realität doch einen Strich durch die Rechnung. Es gab zwar jede Menge Juckreize, aber fast nie an den Stellen, die er ständig kratzen wollte…
Doch einmal, in einem Juli, war es wieder so weit…
Sowas aber auch! Hat doch mal wieder ein böser Sportschütze dem Herrn Grafe den Gefallen getan, eine tatsächlich legal besessene Waffe für ein versuchtes Tötungsdelikt zu missbrauchen. Diese Gelegenheit wird natürlich wieder genutzt, um im mittlerweile sattsam bekannten Stil eine „Presseerklärung“ herauszuhauen, in der alle Register gezogen werden, um sich an seinem Lieblings-Feindbild abzuarbeiten.
Der versuchte fremdenfeindliche Mord an einem 26jährigen Mann aus Eritrea am Montag im hessischen Wächtersbach wurde durch das lasche deutsche Waffengesetz begünstigt: Auch in diesem Fall hat der Täter als Mitglied eines Schützenvereins die Tatwaffe erwerben können.
Ja, so ist er, der typisch deutsche Sportschütze: Tritt einem Schützenverein bei, erwirbt Waffen, bestreitet Wettkämpfe und das alles nur, weil er in zehn oder zwanzig Jahren einen ihm völlig Unbekannten Eritreer aus rassistischen Gründen totschießen möchte. So hinterhältig und verschlagen sind eben nur Sportschützen.
Und nicht nur das:
In Deutschland kommt grundsätzlich jedermann als Sportschütze problemlos an tödliche Schußwaffen: Neben psychisch Kranken, Alkoholikern, Drogenkonsumenten und „Hells Angels“ auch politische Extremisten wie Neo-Nazis, „Reichsbürger“ und Islamisten. Selbst Vorbestrafte bis zu einer bestimmten Strafhöhe, sogar einschlägig wegen Gewalttaten Verurteilte.
Genau so ist das. Welcher Sportschütze kennt das nicht so aus dem Schießsport-Alltag: Man steht auf dem Schießstand, umgeben von von psychisch Kranken, Alkoholikern, Drogenkonsumenten und „Hells Angels“, politischen Extremisten wie Neo-Nazis, „Reichsbürgern“ und Islamisten nebst Vorbestraften.
Eine äußerst genau Beschreibung der Wirklichkeit auf Schießständen. Okay, fast, jedenfalls. Bis auf die psychisch Kranken, Alkoholiker, Drogenkonsumenten und „Hells Angels“, politischen Extremisten wie Neo-Nazis, „Reichsbürger“ und Islamisten nebst Vorbestraften. Aber ansonsten trifft die Beschreibung ziemlich genau zu. Außer, man lädt bestimmte, bekennende Waffengegner ein. Dann braucht man womöglich nur einen davon und hat die halbe Palette der o. g. Zuschreibungen auf einen Schlag abgedeckt…
Aber weiter geht es mit der brillanten Argumentationskette:
Es ist seit Jahren bekannt, daß sich Extremisten gezielt über Schützenvereine bewaffnen. Dabei hatte die Bundesregierung bereits im Dezember 2012 auf eine Anfrage erklärt, es „besteht grundsätzlich ein Risiko, daß radikalisierte Einzeltäter ähnlich gelagerte Straftaten begehen könnten“ wie der norwegische Mörder Anders B. (Utøya 2011) oder die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU).
Exakt. So handelt der typische Extremist. Beschafft sich legal, langwierig und teuer eine legale Waffe, die dann auch, so wie sich das gehört, schön bei den Behörden registriert ist. Extremisten heißen ja auch nur deshalb Extremisten, weil sich sich extremst penibel an alle Gesetze halten, vor allem extrem penibel ans Waffengesetz.
Und ja, es besteht immer irgend ein Risiko. Es besteht auch ein Risiko, auf einem Weihnachtsmarkt von einem LKW zermatscht oder von vor einen einfahrenden ICE gestoßen zu werden. Jetzt könnte man alle Weihnachtsmärkte, alle LKW, alle ICE und alle Eritreer in Deutschland verbieten. Das würde das Risiko, Opfer eines vorsätzlich handelnden Verbrechers zu werden, genau so minimieren, wie es ein Verbot von Schützenvereinen bzw. privaten, legalen Waffenbesitz bewirken könnten: Gar nicht.
Der Mordversuch in Wächtersbach geschah am Jahrestag des Utøya-Massakers, das am 22. Juli 2011 ebenfalls von einem Sportschützen aus fremdenfeindlichen Motiven mit legalen Waffen begangen worden war.
Na, zum Glück war der immer wieder bemühte Norweger genau so ein „richtiger“ Sportschütze, wie er ein „richtiger“ Bio-Bauer war…
Schon in den Jahren davor haben auch in Deutschland Extremisten mit Sportwaffen gemordet: Die Tatwaffe der NSU-Neonazi-Morde war (samt Schalldämpfer) 1996 zunächst von einem Schweizer Waffenhändler legal an einen privaten Kunden verkauft worden, bevor dann neun Migranten mit dieser Pistole erschossenen wurden.
Aha, eine nach deutschem Recht illegale Schalldämpferwaffe, die außerhalb des Geltungsbereiches deutscher Rechtsvorschriften irgendwann legal gehandelt und dann illegal verschoben wurde, muss man natürlich ebenfalls anführen. Schließlich wären die Presseerklärungen von Märchenonkel Grafe sonst äußerst kurz, wenn er sich nur auf belastbare Fakten und die in Deutschland geltenden Gesetze beschränken würde.
1992 schoß ein Neo-Nazi in Koblenz mit der legalen Pistole seines Vaters in eine Menschengruppe. Er tötete einen Obdachlosen und verletzte fünf junge Leute. 1982 erschoß in Nürnberg der Neo-Nazi Helmut O. drei ausländische Disco-Besucher. Er war als Mitglied eines Schützenvereins an die Mordwaffen gekommen.
Hah! Schachmatt, Waffenlobby! Wer erinnert sich wohl nicht an 1982 und 1992. Ist ja quasi erst gestern gewesen und nichts ist besser geeignet, um die enorme, allgegenwärtige und ständige Bedrohung durch Sportschützen zu verdeutlichen, als nicht mal 30 bzw. 40 Jahre zurück liegende Fälle ins Gedächtnis zu rufen.
Zwischendrin, das scheint heute längst vergessen zu sein, hat die RAF auch noch Alfred Herrhausen und Detlev Rohwedder ermordet. Vermutlich wurden die als Tatmittel verwendete vollautomatische Kriegswaffe und der militärische Sprengstoff auch legal über Anscheins-Sportschützen beschafft, wer weiß.
In Deutschland sind seit dem Amoklauf in Winnenden vor zehn Jahren mehr als achtzig Menschen mit Schußwaffen von Sportschützen erschossen worden. Das sind mehr als siebenmal so viel wie in der Winnender Schule. Und das trotz der angeblichen Verschärfung des deutschen Waffengesetzes nach dem Winnender Amoklauf.
Seit 1990 sind mehr als 250 Menschen mit Waffen von Sportschützen getötet worden (ohne Suizide).
Überflüssig zu erwähnen, dass ungefähr 75 mal so viele Menschen im gleichen Zeitraum Opfer eines Tötungsdeliktes wurden, die man trotz kreativst geführter „Statistik“ ignorieren musste.
Gemordet wird auch nicht „durch Sportschützen“, sondern „mit (Schuß-)Waffen von Sportschützen“. Nur durch diese bewusste Unschärfe, bei der man völlig willkürlich alles in die „Opferkarte“ verwursteln kann, schafft es Märchenonkel Grafe überhaupt, irgendwie in einem 30-Jahres-Zeitraum 250 vermeintliche „Sportmordwaffen“-Opfer zusammenzukratzen.
Aber dies immerhin höchst erfolgreich. Scheinbar stört sich kein Redakteur an einer über einen so langen Zeitraum addierten „Opferzahl“, niemand fragt nach Bezugsgrößen, jeder noch so holprige „Beweis“ wird gerne geschluckt. Mit der richtigen Gesinnung rennt man offene Türen ein, zu Lasten der Medienkonsumenten, die sich ihre Meinung auf Grund derart einseitiger „Nachrichten“ bilden.
So endet dieser Beitrag so ähnlich wie im Märchen:
Und wenn seine Adressaten nicht endlich mal genauer hingucken, dann lügt er auch noch morgen.
Image by Fathromi Ramdlon from Pixabay
Wer schickt dem Märchenonkel denn mal die Pfeiffer Studie von 2011 bzgl. Unkonventioneller Schusswaffen?
Denn erst wenn das letzte Wasserrohr aus der Wand gerissen, der letzte Strom abgeschaltet ist, dann werdet ihr merken dass man immer noch schießen kann, oder so.