Waffenrecht: Was wäre, wenn?

Die Bundesinnenministerin möchte gerne das Waffenrecht verschärfen. Der entsprechende Referentenentwurf wurde Anfang Januar veröffentlicht. Begründet werden die völlig willkürlichen und unverhältnismäßigen Eingriffe ins Waffengesetz durch genau so spektakuläre wie seltene Gewalttaten.

Da sollte man meinen, dass der Entwurf Lösungen anbietet, wie man die als Begründung für noch mehr Gesetzeswirrwarr herangezogenen Tötungsdelikte wirksam verhindert. Gucken wir uns die genannten Fälle einfach an und sehen, welchen davon die geplanten Gesetze verhindert hätten, wenn sie denn schon zum Zeitpunkt der Tatbegehung gegolten hätten:

Der Terroranschlag von Hanau

Im Nachgang zum Terroranschlag von Hanau am 19. Februar 2020 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat unter Einbeziehung eines Berichts einer Arbeitsgruppe des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter geprüft, ob weiterer gesetzgeberischer Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Erkennung von Extremisten sowie von Personen mit auf einer psychischen Störung basierenden Eigen- oder Fremdgefährdung unter den Waffenbesitzern besteht. Hierbei hat sich gezeigt, dass ergänzende Anpassungen des Waffengesetzes geboten sind, um sicherzustellen, dass den Waffenbehörden bei der Überprüfung von Zuverlässigkeit und persönlicher Eignung eines Waffenbesitzers beziehungsweise Erlaubnisinhabers das relevante Wissen anderer Behörden schnell und effizient zur Verfügung gestellt wird. Dies betrifft insbesondere die Bereitstellung von Erkenntnissen, die bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder, dem Zollkriminalamt sowie den örtlichen Gesundheitsbehörden vorliegen können.

Referentenentwurf, Seite 1

Für das BMI ist der Fall klar, schließlich hat die Innenministerin bereits vor einem Jahr klargestellt, dass es ein „Loch im System gibt“:

Noch vor Ostern will die Innenministerin einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Darin geht es unter anderem um die Verschärfung des Waffenrechts. „Wir werden ihnen sehr konsequent die Waffen entziehen“, sagte sie im Bundestag. Dass es klaffende Lücken im System gibt, zeigte der Anschlag von Hanau. Trotz amtsbekannter Wahnvorstellungen konnte der rechtsextreme Attentäter Tobias R. legal Waffen besitzen und damit regelmäßig trainieren.

https://www.br.de/nachrichten/bayern/zwei-jahre-nach-hanau-es-bleiben-viele-offene-fragen,SxmfreY

Das „Loch im System“ hat man aber nicht etwa innerhalb diverser Behörden verortet, die im Vorfeld der Tat den Täter wegen verschiedenster Anlässe auf dem Schirm hatten. Von denen aber anscheinend keine, auch nicht die Generalbundesanwaltschaft, auf die Idee kam, ins „Nationale Waffenregister“ zu gucken um festzustellen, ob der auffällig gewordene Tobias R. vielleicht über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügt. Weil man es nicht geschafft hat, einen psychisch Kranken, der regelrecht nach Aufmerksamkeit gebettet hat, zu überprüfen, sollen nun alle zukünftigen WBK-Aspiranten dafür büßen und viel Zeit und Geld für einen „Idiotentest“ investieren.

Hätte dieses Gesetz „Hanau“ verhindert?

Nein. Der Gesetzentwurf sieht die MPU nur bei WBK-Aspiranten vor, nicht bei langjährigen WBK-Inhabern wie dem Täter von Hanau.

Ferner wird eine Regelabfrage bei den Gesundheitsbehörden eingeführt. Außerdem wird die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses für alle Personen, die erstmalig eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen, verpflichtend. H

Referentenentwurf, Seite 1

„Hanau“ hätte man nicht durch neue Gesetze verhindert. Hanau hätte man durch die konsequente Anwendung des damals geltenden Rechts verhindern können.

Keine passende Gewalttat in Deutschland

Zunächst eine Runde Mitleid für die armen Referenten im BMI, die sich für das geplante Verbot „kriegswaffenähnlicher“ halbautomatischer Büchsen durch 20 Jahre deutsche Kriminalstatistiken graben mussten. Und nicht einen einzigen Fall finden konnten, in dem eine legale AR-15 eines Jägers oder Sportschützen für einen Terroranschlag oder wenigstens für ein vorsätzliches Tötungsdelikt als Tatmittel eingesetzt wurde. Also musste man sich etwas anderes einfallen lassen, um die besondere Gefährlichkeit, zumindest in der blühenden Fantasie besonders kompetenter „Fach“politiker bzw. -referenten, unter Beweis zu stellen.

Durch das Verbot kriegswaffenähnlicher halbautomatischer Feuerwaffen soll die Verfügbarkeit dieser Waffen verringert werden. Diese Waffen wirken besonders anziehend auf bestimmte Personenkreise und Tätergruppen, welche für Amok- und Terrortaten eine hohe
Relevanz aufweisen. Die terroristischen Anschläge von Utoya, Norwegen sowie Christchurch, Neuseeland, wurden mit solchen Waffen verübt. Wegen der Manifeste der Täter im
Internet ist eine Nachahmung nicht auszuschließen.

Referentenentwurf, Seite 2

Utoya

Zunächst kam da wohl „Utoya“ in den Sinn und das Foto des Täters, auf dem dieser mit so einer martialisch aussehenden Anscheins-Kriegswaffe posiert.
Also „kriegswaffenähnliche Selbstladebüchsen“ verbieten, schon wäre „Utoya“ (würde deutsches Recht in Norwegen gelten) verhindert worden?

Ergebnis: Nope.

Screenshot: https://www.regjeringen.no/no/dokumenter/nou-2012-14/id697260/?ch=7

Zwar gibt es ein Fotos des Täters, auf dem er mit seinem mit unnützem tactical Gedöns überfrachtetem „Sturmgewehr“ zu sehen ist. Das wird hier nicht nochmal gezeigt, da aus grundsätzlichen Erwägungen weder der volle Name, noch die Visage des Mörders hier eine Bühne bekommen. Auf den flüchtigen Blick und insbesondere für Laien mag das auch beeindruckend sein, wie sich hier ein Möchtegern-SEAL grimmig in Szene setzt. Das „Sturmgewehr“ entpuppt sich aber spätestens, wenn man in den norwegischen Regierungsbericht zu „Utoya“ guckt, als das, was es ist: Ein popeliges Ruger Mini-14 mit jagdlichem Schaft, das in geradezu absurder Weise mit Lampen, Bajonettchen, Reflexvisier und Magnifier zugemüllt wurde.

Der „kriegswaffenähnliche Halbautomat“ des Täters ist tatsächlich eine für den zivilen Markt entwickelte Selbstladebüchse und erinnert optisch mehr an ein Jagd-, denn an ein Sturmgewehr. Das von den BMI-Referenten bemühte Beispiel „Utoya“ ist keines. Ganz abgesehen davon, dass A. B. auch problemlos auch eine Bombe bauen und im Regierungsviertel von Oslo zur Explosion bringen konnte.

„Utoya“ hätte man nicht durch neue Gesetze verhindert. Selbst wenn man AR-15 verbietet bzw. Altbesitz gelb anstreichen lässt: Der Täter nutzte überhaupt keine Waffe, die den Verbotskriterien entspricht.

Christchurch

Zeitlich weniger weit zurück, dafür geografisch um so entfernter ist das nächste Beispiel, das zur Begründung eines Verbots „kriegswaffenähnlicher Halbautomaten“ in Deutschland herhalten soll: Der Terroranschlag von Christchurch auf Neuseeland, schlappe 18.174 km entfernt vom Bundesministerium des Innern in Berlin.

Stellen wir auch hier die hypothetische Frage, ob man diese Bluttat hätte verhindern können, wenn dort damals das Gesetz gegolten hätte, das man in Deutschland seitens SPD und Grünen gerne hätte. Um das zu beantworten, reicht schon ein Blick in das mit „The Great Replacement“ überschriebene Manifest des Täters:

Screenshot: Manifest des Täters von Christchurch, Seiten 14 + 15

Er wusste genau um der besonderen medialen Aufmerksamkeit, der die Wahl eines „AR-15“ als Tatwaffe hervorrufen würde. Genau deshalb wurde von ihm keine Explosion herbeigeführt oder wie in Nizza oder Berlin ein Kraftfahrzeug als Waffe eingesetzt – und sein Plan ist exakt aufgegangen. Alle sind über das von ihm hingehaltene Stöckchen gesprungen, die komplette Medienlandschaft und die Politik, allen voran die damals amtierende neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern. Alle hyperventilierten ob des als Tatmittel eingesetzten „bösen“ AR-15. Obwohl anscheinend niemand die Waffe gesehen hat, die eben gerade keinen „kriegswaffenähnlichen“ Anschein erweckte.

Auch am anderen Ende der Welt, im BMI in Berlin, scheint das „Wissen“ zum zitierten Terroranschlag nur aus Hörensagen zu bestehen. Genau wie im Beispiel „Utoya“ sah die primäre Tatwaffe überhaupt nicht „kriegswaffenähnlich“ aus und entsprach damit einem bereits seit 1992 geltenden Gesetz in Neuseeland, das u. a. freistehende Pistolengriffe militärischer Art verbietet. Außerdem ist die Magazinkapazität seit damals begrenzt. Das abgebildete Trommelmagazin hoher Kapazität war illegal.

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Christchurch_attack_gun.png

„Christchurch“ hätte man nicht durch neue Gesetze verhindert. Es galten in Neuseeland bereits Gesetze ähnlich dem, wie es in Deutschland wieder eingeführt werden soll. Aufgrund dem Manifest des Täters kann man aber voraussetzen, dass er sehr wahrscheinlich auch in der Lage gewesen wäre, seinen Massenmord unter Zuhilfenahme anderer Tatmittel als Schusswaffen umzusetzen.

Unterm Strich?

Der Referentenentwurf bemüht mit Hanau, Utoya und Christchurch drei spektakuläre Massenmorde und begründet damit geplante Gesetzesverschärfung. Bei näherem Hingucken wird klar, dass keiner davon zu verhindern gewesen wäre, selbst wenn in allen drei Ländern zum Tatzeitpunkt dieser Gesetzesentwurf geltendes Recht dargestellt hätte. Insbesondere die Nennung von Utoya und Christchurch stellen vielmehr eine Blamage für die Verfasser dar, da sie spektakuläre Verbrechen als Grund anführen, aber in diesen spektakulären Verbrechen die als besonders gefährlich angesehenen „kriegswaffenähnlichen Halbautomaten“ gar nicht zum Einsatz kamen. Sondern ein ziviler Selbstlader mit klassischem Holzschaft und ein Halbautomat, der bereits demilitarisiert war.

Beitragsbild: Eigenes Werk (Dient nur der Aufmerksamkeit)