Die Presse lügt nicht!

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Seit „Pegida“ Montags durch Dresdens Straßen spaziert, knackt es gewaltig im Gebälk von Medien und Parteien.

Deren in der Vergangenheit bewährte Abwehrstrategie, alle Aufmüpfigen rechts der Merkel-CDU sofort mit einem Bombardement von Schlägen mit der Nazikeule zu überziehen und zum Schweigen zu bringen, funktioniert plötzlich nicht mehr.

Jeder schmähende Artikel, jeder erhobene Politikerzeigefinger hat stets für noch mehr Zulauf beim nächsten „Spaziergang“ gesorgt.
Die Medien und speziell die Tageszeitungen sehen sich mit dem Vorwurf der „Lügenpresse“ konfrontiert und reagierten teils verstört, teils verschnupft. Flugs wurde „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres“ gekürt. Ohne zu hinterfragen, was genau denn als „Lügen“ in der „Presse“ aufgefasst wird. Und mit „Presse“ ist nicht nur die komplette Medienlandschaft, sondern genau so politische und sonstige Interessenvertreter gemeint, die ihre jeweiligen Botschaften über die „Lügenpresse“ verbreiten.

Dabei hätten die Medien bereits seit Jahren mit etwas gutem Willen (oder der Fähigkeit zur Selbstkritik) erkennen können, dass ihre Art und Weise der belehrenden und/oder einseitigen (Hof-)Berichterstattung als solche erkannt und auch offen gelegt wurde. Sportschützen und Jäger mit ihren legal besessenen Waffen waren über Jahre ein beliebtes Ziel solcher Berichterstattung.

Die empörten Reaktionen der Betroffenen in Form von Leserbriefen oder Onlinekommentaren wurden jedoch abschätzig als von der ominösen Waffenlobby gesteuert vom Tisch gewischt. Das war bequem, musste man sich so inhaltlich mit der Kritik erst gar nicht auseinandersetzen. Schließlich genießt die „Waffenlobby“ die gleiche mediale Wertschätzung wie Kernkraft, Sarrazin oder TTIP. Dagegen zu sein, gehört zum guten Ton.

Dass sich Journalisten dagegen verwehren, als „Lügenpresse“ und somit Lügner bezeichnet zu werden, ist nachvollziehbar. Gelogen im Sinne von „bewusst die Unwahrheit sagen“ wird auch nicht. Mit „Lügenpresse“ dürfte deshalb auch eher die Art und Weise gemeint sein, WIE über bestimmte Sachverhalte berichtet wird.

Bleiben wir bei der schon erwähnten „Pegida“-Bewegung. Schon der Name sorgt in den Medien für die üblichen Abwehrreflexe: „Patriotisch“, „gegen Islamisierung“, „Abendland“ – das können nur Nazis sein. Entsprechend fällt die Berichterstattung aus.

Pegida demonstriert überwiegend nicht, Pegida marschiert. Natürlich sind es „Rechtspopulisten“, die „Stammtischparolen“ brüllen.

Zieht dagegen eine Horde krimineller Linksextremer brandschatzend durch Leipzig und greift massiv Polizisten an, liest man anschließend von „Jugendlichen“, die „protestiert“ haben. Die „in Sprechchören“ etwas „gefordert haben“ oder das es dabei zu „einzelnen Rangeleien“ gekommen ist. Fast könnte man meinen, die 6 b der Oberschule „Rote Rübe“ war auf Klassenausflug…

Man braucht nicht zu Lügen, wenn man geschickt formulieren kann.

Doch nicht nur durch die gewählten Vokabeln und Redewendungen kann man Menschen manipulieren, auch die Interpretation von Zahlenwerten birgt hervorragende Möglichkeiten, aus Mücken Elefanten zu machen. Oder umgekehrt.

Nochmals zu „Pegida“. Seit man deren „Montagspaziergänge“ nicht mehr einfach ignorieren kann, relativiert man Woche für Woche die Zahl der Demonstranten, pardon, „Marschierer“.

Ein paar Hundert, ein paar Tausend, wenige Zehntausend – das seien ja weniger als ein Promille der Gesamtbevölkerung bzw. nur ein geringer Prozentanteil der Dresdener Wohnbevölkerung. Und damit keineswegs legitimiert, „Wir sind das Volk“ zu rufen oder auch nur annähernd für sich in Anspruch zu nehmen, für einen nennenswerten Bevölkerungsanteil zu sprechen.

Als vor knapp vier Jahren und unmittelbar unter dem Eindruck der Tsunami- bzw. Fukushima-Katastrophe die Anti-Atomkraft-Bewegung in Berlin 100.000 Anhänger versammelte, unterblieb diese Relativierung. Ungefragt wurden diese Protestierer als Mehrheitsmeinung interpretiert. Die Kanzlerin vollzog einen 180-Grad-Schwenk in der Energiepolitik, setzte einen überhasteten Atomausstieg und eine völlig ineffiziente Energiewende durch.

Auch wenn in Berlin gerade „Zehntausende“ (= 20.000) für die „Agrarwende“ demonstriert haben, wird darüber neutral bis positiv und sachlich bis wohlwollend berichtet.

Die Presse lügt also nicht, wenn sie 25.000 Pegida-Anhänger ins Verhältnis zu knapp 500.000 Dresdnern setzt. Sie lügt auch nicht, wenn sie 100.000 Anti-Atom-Bewegte oder 20.000 „Agrarexperten“ nicht ins Verhältnis zu knapp vier Millionen Berlinern oder 82 Millionen Bundesbürgern setzt.

Angesichts der jüngsten Massaker in Paris, aber auch der Massenmassakrierungen wehrloser Zivilisten durch ISIS, Boko Haram und sonstigen Mörderbanden, allesamt im Namen des Propheten, wird auch fleißig relativiert. Schließlich werden diese Gräueltaten nur von einem geringen Prozentsatz der Muslime gutgeheißen.

Statt von „nur zehn Prozent“ oder „nur fünf Prozent“ (von > 1,5 Milliarden Muslimen weltweit) könnte man genauso gut auch von „nur 150 Millionen“ oder „nur 75 Millionen“ reden oder schreiben, die Gewalt im Rahmen ihrer Religion zustimmen. 150 Millionen hört sich aber doch etwas „mehr“ an als „nur“ zehn Prozent. Zumal damit auf jeden einzelnen der verhassten Juden fünf bis zehn militante, gewaltbereite Moslems kommen.

Genau anders herum funktioniert die Sache, wenn Ängste nicht unterdrückt, sondern geschürt werden müssen.

Der Ausstoß von 100 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid muss eingespart werden, sonst geht die Welt unter, weil der Meeresspiegel andernfalls vielleicht um zwei Zentimeter steigt. Hundert Millionen Tonnen klingt unglaublich viel. Auch als Zahl geschrieben wirk das sehr imposant:

100.000.000 Tonnen!

Laut Wikipedia befinden sich 3.000 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre. Eine Gigatonne sind eine Milliarde Tonnen. Schreibt man 3.000 Gigatonnen als Zahl, braucht man schon zwölf Nullen:

3.000.000.000.000 Tonnen!

Kappt man bei beiden Zahlen acht Nullen, bleibt ein Verhältnis von 30.000 zu 1 oder ein wesentlich weniger imposant wirkendes „Einsparpotenzial“ von lächerlichen 0,0033 Prozent übrig.

Würde in diesem Beispiel seitens der Interessenvertreter und Medien mit dem Prozentwert gearbeitet, sähe sich die Politik einem ganz anderem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, warum der deutsche Steuerzahler hierfür über Jahrzehnte Milliarden von Euro aufbringen soll.

Die Presse lügt also nicht, wenn sie von nur zehn Prozent berichtet. Sie lügt auch nicht, wenn sie von 100 Millionen berichtet. Sie unterlässt es nur im jeweils anderen Kontext.

Als Waffenbesitzer kennt man diese Zahlenspielchen. Da ist es noch harmlos, wenn aus ein paar Döschen Diabolos für den Knicker „Tausende Schuss Munition“ werden. Um die angebliche Gefährlichkeit von legalem Waffenbesitz zu beweisen, addiert man die angeblichen Opferzahlen von Jahrzehnten. Gleichzeitig vermeidet man aber gewissenhaft die Nennung von Gesamtzahlen zu Tötungsdelikten.

Bösartig wird es, wenn man wie vor ein paar Jahren in einer großen deutschen Tageszeitung im Bezug zu großkalibrigen Sportwaffen

„Der Missbrauch solcher Waffen hat inzwischen allerdings mehr Opfer gefordert als der Terror der RAF.“

lesen muss.

Zufällig hat man dem Leser ein paar unbedeutende Bezugsgrößen vorenthalten. Zum Beispiel, dass der harte Kern der RAF und damit die Anzahl der potenziellen Täter aus höchstens einem paar Dutzend Krimineller bestand. Demgegenüber sind allein im Deutschen Schützenbund weit über eine Million Mitglieder in ca. 15.000 Vereinen organisiert. Auch den zeitlichen Bezug hat man großzügig unter den Tisch fallen lassen. Würde man nicht nur die Anzahl der Opfer, sondern auch den Zeitrahmen und den möglichen Täterkreis berücksichtigen, käme ein ganz anderes, aber sicher nicht das gewünschte Ergebnis heraus.

Die Presse lügt also nicht, sie vergleicht nur mal gerne Äpfel mit Birnen. Genauer gesagt, Pferdeäpfel mit Abrissbirnen.

Die Medien „Lügenpresse“ zu schimpfen, ist also sachlich falsch. Den Medien eine äußerst kreative Interpretation von Nachrichten und Sachverhalten vorzuwerfen, trifft wohl eher zu.

So lange aber mit doppelten Standards gearbeitet und so aus der Nachricht ganz schnell Meinungsmache wird, so lange müssen sich Presse bzw. Medien und die Interessengruppen hinter der Meldung den Vorwurf der „Lügenpresse“ gefallen lassen.

17 Kommentare

  1. Ich fand schon immer, daß das Wort „Lügen“ so einen negativen Beigeschmack hat!

    Ich sage da lieber „Realitätsmodifikation“
    oder „Interpretation der Realität unter der Berücksichtigung eigener Erfahrungswerte“.

    Von daher, wie immer, ein super Artikel!

  2. Oder auch Falschinterpretation. Hier mal ein paar jüngste Beispiele:

    Die Antwort der Bundesregierung zu einer umfangreichen Kleinen Anfrage der Grünen wird von den Grünen und den Medien missbräuchlich verwendet.
    https://legalwaffenbesitzer.wordpress.com/2014/08/03/statistik-der-bundesregierung-zu-amoklaufen/

    FBI Statistik von den Medien falsch interpretiert: Die Süddeutsche Zeitung hat – mal wieder – das Wesentliche übersehen und verwechselt Amokläufe mit “active shooter incidents”.

    https://legalwaffenbesitzer.wordpress.com/2014/10/04/same-procedure-fbi-statistik-von-den-medien-falsch-interpretiert/

  3. Die Medien sind für ihre erlebnisorientierte Berichterstattung bekannt – was nicht passt, wird passend euphemisiert.

    Peinlich wird es nur, wenn eine zerknitterte BRAVO aus den 80ern bald mehr Informationsgehalt hat, als ein Focus aus dem Jahre 2015.

  4. Auf den Punkt gebracht!
    Bitte weiter so Benedikt.
    Meine Tageszeitung habe ich abbestellt mit dem Hinweis, das ich auf ihre gedruckten ‚Wahrheiten‘ in Zukunft verzichten werde. Money rules. Wenn die Schreibelinge sich eines Tages die in der Argentur die Klinke in die Hand geben müssen weil keiner mehr ihren Schund kauft, findet evtl. ein Umdenken statt.

  5. Mal wieder ein treffenden Beitrag, danke dafür Benedikt !

    Zu meinen Vorposter Peter :
    Alles auf einer externen Festplatte sichern und danach vom PC/Laptop abstöpseln. Seit einiger Zeit verschwinden so einige interessante Beiträge der Medien im Internet „spurlos“. Darüber wird in einigen Foren schon heiß diskutiert. NSA und Co. lassen grüssen…
    Wir müssen alles sichern und dokumentieren damit wir für Nürnberg 2.0 bereit sind.

  6. @ Jan,

    das liegt wohl meist daran dass die Beiträge besser und inhaltlich kritischer sind, als die Artikel selbst. Gerade die SZ geht da ja mit „gutem Beispiel2 der gesteuerten Kommentare voran!

    Man muss nicht gleich an Nachrichtendienste denken, die Redaktionen haben selbst schon das Bedürfnis widerspruchsarm und ggf. im Sinne der Auftraggeber (wie Parteien) gut darzustehen.
    Macht die ZO doch auch…

  7. Die Medien müssen sich die Aussage „Lügenpresse“ gefallen lassen. Gibt doch inzwischen genügend Beispiele in Youtube und anderen Netzwerken, das Wahrheiten gerne verdreht oder Dinge falsch dargestellt werden.
    Sehr guter Artikel im übrigen!

  8. Die Presse manipuliert ihre Leser auch durch bewusstes Verschweigen von Fakten. Die berichteten Fakten sind zwar (meistens) korrekt. Durch das Unterlassen von zusätzlichen Informationen, die für die Meinungsbildung wichtig sind, soll die Meinung des Lesers in eine bestimmte Richtungq gelenkt werden. Deshalb habe ich nach Jahrzehnten als Abonnent der FAZ selbige gekündigt.

  9. Der Artikel ist sehr gelungen und bringt das stilistische der sogenannten „Lügenpresse“ auf den Punkt. Was hier hinzuzufügen ist: Zeitungen selektieren welche Themen überhaupt und mit welcher Priorität gebracht werden.

    Was Pegida anbelangt – anfänglich stimmen die Aussagen der Presse bezüglich mitmarschierender Nazis. Das muss nicht bei allen Pegida Märschen der Fall gewesen sein. Allerdings prägt sich immer der erste Eindruck ein und hat sich dann festgesetzt. Ein gefundenes Fressen.

    Und hier kurz noch zu den Lesern (es sind ja heute nicht mehr nur „die Medien“ Meinungsmacher): ich lese hier durchaus gute Kommentare. Aber wie in großen Teilen im anonymen Web kommentiert wird (a la „tötet das Schwein“, ich weiß wo du wohnst und werde dich besuchen, du hast aber eine hübsche Tochter…) verunsichert auch die letzten Journalisten und Meinungsmacher, die noch einen ethischen Blick auf ihre Arbeit haben. Auch diese gibt es. Diese gilt es zu unterstützen.

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