Stern-Reporter müssen endlich recherchieren lernen

Screenshot: https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/kommentar-nach-hanau–sportschuetzen-muessen-entwaffnet-werden-9154560.html

Kerstin Herrnkind ist Reporterin beim „Stern“. Und wie es scheinbar für Journalisten mit der korrekten Haltung wichtig ist, muss sie sich selbstverständlich auch nach dem Gewaltverbrechen von Hanau in einem Meinungsartikel für eine Entwaffnung von Sportschützen aussprechen.

Wer ihren Kommentar liest, könnte allerdings auch denken, dass den Artikel, zumindest teilweise, jemand ganz anderes geschrieben hat, zu bekannt erscheint einem der Duktus. Diese „Meinung“ könnte so auch ohne jegliche Änderung als Pressemitteilung vom Amoklaufverwerter Roman Grafe stammen. Der Inhalt der „Meinung“ von Frau Herrnkind besteht ohnehin zum größten Teil aus einer Aufzählung der ständig von Herrn Grafe genüsslich wiedergekäuten Handvoll seltener Fälle, die belegen sollen, dass von Sportschützen angeblich so eine große Gefahr ausgeht.

Da fragt man sich, warum der „Stern“ überhaupt eine zusätzliche Reporterin bemüht und Herrn Grafe nicht direkt dafür bezahlt, seine Meinung zum Besten geben zu dürfen. Aber dann wäre ja die Agitation einfach zu offensichtlich. Und bestimmt hat das auch nichts damit zu tun, dass es natürlich gleich viel seriöser wirkt, wenn man als Sportschützenhasser auf „fremde“ Inhalte verlinken kann, die die eigene, krude Weltsicht stützen.

Aber gucken wir uns mal an, was die Frau Herrnkind als Argumente ihrer(?) Meinung aufbietet:

Die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ recherchiert schon seit Jahren sehr gründlich, wie viele Menschen in diesem Land durch legale Waffen sterben. Es sind über 270 seit 1990.  Warum müssen Schützenbrüder mit tödlichen Waffen auf Papierscheiben schießen? Warum dürfen sie ihre Waffen nach dem Training im Schießstand mit nach Hause nehmen? Es gibt dafür keine vernünftigen Gründe.

Aha, wenn Sportschützen endlich entwaffnet sind, ist in diesem Land für Sicherheit gesorgt. Genießen wir diese Aussage im Kontext mit dem nächsten Zitat:

Die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ recherchiert schon seit Jahren sehr gründlich, wie viele Menschen in diesem Land durch legale Waffen sterben. Es sind über 270 seit 1990. 

Aktuell zeigt der Kalender das Jahr 2020 an. Die These wird also durch 270 „sehr gründlich recherchierte“, angebliche Sportmordwaffenopfer in einem Zeitraum von 30 Jahren gestützt. Nimmt man das Jahr 2018 als Maßstab, in dem laut Polizeilicher Kriminalstatistik 699 Menschen das Opfer eines vollendeten Tötungsdeliktes wurden, dann gab es in diesen 30 Jahren fast 21.000 Mord- und Totschlagsopfer in Deutschland. Davon fielen dann weniger als 1,3% Sportmordschützen zum Opfer. Da die Anzahl der Tötungsdelikte seit vielen Jahren rückläufig und somit die absoluten Zahlen in der Vergangenheit viel höher lagen, ist selbst dieser von der Zahl aus 2018 hochgerechnete Wert viel zu weit oben angesetzt. Aber nochmal zum sacken lassen:

Es ist der verdammte Job des Bundesinnenministers für Sicherheit in diesem Land zu sorgen. Das schafft er aber nur, wenn er die Sportschützen endlich entwaffnet.

Über 20.000 Opfer interessieren im Umkehrschluss nicht die Bohne, der „verdammte Job des Innenministers“ ist es, gefälligst dafür dafür zu sorgen, dass ausschließlich das deliktisch ohnehin nahezu irrelevante Tatmittel „legale Sportwaffe“ nicht mehr verwendet werden kann.

Schon ist das Problem erledigt. Weil natürlich jeder Sportschütze mit festem Tatvorsatz nur und ausschließlich mit einer Sportwaffe töten könnte.

Im Gegensatz zu allen anderen Bürgern im Land, die einfach das zum Töten nehmen, was sie haben. Und seien es die bloßen Hände, eine Gasleitung oder eine Injektionsspritze.

Auf welch erbärmlich niedigen Niveau Frau Herrnkind (ab)schreibt, offenbart aber die unfassbar dümmliche Gleichsetzung von RAF-Terror und angeblichen Sportmordwaffentoten:

Es sind über 270 seit 1990. Das sind mehr Menschen als durch den Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) getötet wurden, dem laut Bundeszentrale für politische Bildung 34 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Zwei absolute Zahlen vergleichen, die in keinem Zusammenhang stehen, bei denen nicht nur die Größe der zugehörigen Gruppe unterschlagen wird, sondern sich auch der Zeitraum der Datenerhebung unterscheidet – das ist schon Hetze in Reinkultur.

Ja, klar. Lieschen Müller, die Schutzheilige dieses Blogs, kann man mit so einem genau so simplen, wie haarsträubend unsinnigen Vergleich natürlich erschrecken. „Nur“ 34 Terroropfer in 28 Jahren durch die Hand der scheinbar doch nicht so bösen RAF, dafür aber in einem an Jahren vergleichbaren Zeitraum acht Mal so viel durch Sportmordschützen!

Nur hat man dem Lieschen ein klitzekleines und scheinbar unwichtiges Detail vorenthalten. Der RAF gehörten 60 – 80 Mitglieder an. Bei 34 Ermordeten waren demnach statistisch gesehen 0,425, also fast jedes zweite RAF-Mitglied, ein Mörder.

Und beim DSB? Der verfügte bereits 1970 über 723.724 Mitglieder. 1998, als die RAF offiziell aufgelöst wurde, waren es 1.586.770. Mittelt man die Mitgliederzahlen des DSB von 1970 – 1998, so kommt man auf 1.203.561. Wären die genau so mörderisch wie die RAF, hätten die Sportmordschützen, die für Lieschen Müller nach der Lektüre von Frau Herrnkinds Kommentar ja als die tatsächlich Bösen erscheinen müssen, 511.513 Menschen getötet.

Eine radikale Mördertruppe von maximal 80 Hanseln mit einem Sportverband gleichzusetzen, der 1970 12.000 mal so viele und 1998 fast 20.000 mal so viele Mitglieder hatte, ist wirklich Qualitätsjournalismus par excellence. Und entsprechend geht es weiter im Text:

In Bayern, wo es die meisten legalen Schusswaffen gibt, forderte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Waffenbehörden sogar auf, ihre Kontrollbesuche vorher anzukündigen, wie der Journalist Roman Grafe für den Nachrichtensender n-tv enthüllt hat.

Au ja „enthüllt“. Also ob es eine geheime Verschwörung zur Vertuschung von Zahlen gäbe, die jede im Bayerischen Landtag vertretene Fraktion jederzeit anfragen kann und die Antwort darauf anschließend veröffentlicht wird.

Es ist übrigens das gleiche Bayern mit den meisten legalen Schusswaffen, von dem wir dank so einer Anfrage von Katharina Schulze (Grüne) folgendes wissen:

Dem Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA) wurden im Jahr 2018 durch die Verbände der Bayer. Polizei im Rahmen des bestehenden Sondermeldedienstes 60 Fälle gemeldet, bei denen durch den Gebrauch von Schusswaffen Personenschäden entstanden sind.

In einem Fall wurde eine im legalen Besitz befindliche Schusswaffe verwendet, es wurde eine Person getötet. In 59 Fällen wurden im illegalen Besitz befindliche Schusswaffen verwendet, hierbei wurden 53 Personen getötet und sechs Personen verletzt.

Ein Fall von 60, bei dem es sich um eine legale und keine illegale Waffe handelt im Bundesland mit den meisten legalen Waffen. Und selbst bei diesem einen Fall handelte es sich um einen Suizid.

Das könnte man natürlich wissen, wenn man sich wenigstens oberflächlich und einigermaßen unvoreingenommen mit einem hochkomplexen Thema befassen würde, zu dem man so klar seine Meinung öffentlich kund tut. Aber wozu langweilige Fakten recherchieren, wenn man nur von einem hauptberuflichen Lobbyisten abschreiben muss. Oder vielleicht nicht einmal das…

6 Kommentare

  1. Grandiose Entlarvung eines unerhörten Framing-Artikels im Stern, der nicht mal die mindesten Qualitätsstandards erfüllt. Danke dafür; sehr lesenswert.

    1. Da kann ich mich nur anschließen.
      Das Problem ist, jeder darf in Zwischenzeit Artikel verfassen, egal ob er Ahnung hat oder auch nicht und die Leute glauben den Mist

  2. Wirklich gut.
    Bin mal gespannt ob diese Reportern, nach den neusten traurigen Ereignissen, nun auch Mercedes Fahrer „entwaffnen“ will. Oder besser noch Autos komplett verbieten. Würde doch in Ihr „politisch korrektes Gutmenschen Weltbild“ passen .

  3. Gute Stellungnahme, allerdings steht in der Anlage zur Anfrage „Jagdunfall / Elsenfeld / Unterfranken / Legal“. Auch wenn Suizide einen Großteil der Personenschäden mit Legalwaffen ausmachen, sollte diese konkrete Angabe korrigiert werden.

  4. Angesichts der Tatsache das eigentlich alle Welt, inclusive mental leicht retadierter Deutscher, aus dem Fall Halle sehen können das sich jeder mit etwas Zeit und Geld mit slam fire und gar Kriegswaffen wie MPs samt Munition bewaffnen kann, ist der Sternartikel wie aus einem Jahrhundert vor Entdeckung der Elektrizität.
    Zudem in sich fake news, antidemokratisch und bar jeder wissenschaftlichen Methodik, aber das sind wir von Herrn Greafe ja auch so gewohnt. Schon die Falschbehauptung der „tödlichen“ Sportwaffen, ist dreist bis zum geht nicht mehr, das Hobby gehört zu den sichersten Beschäftigungen Deutschlands. Und Fr. Herrenkind steht auch auf Kriegsfuß mit dem BHG, der hat nämlich schon länger davon abgesehen unbelebten Gegenständen irgendeine Tatverantwortung zuzuerkennen. Vielmehr sind Tatmittel immer nur Hilfsmittel zur Deliktverwikrlichung, die Entscheidung dazunliegt allein beim Täter.

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