Sachsen: Bogensport „gefährliche“ Sportart

Wenn politisch verantwortliche Personen ihr persönliches Befinden und Emotionen über rational getroffene Entscheidungen stellen, kommt selten etwas Gutes dabei heraus. Nicht nur angesichts der von Frau Merkel durch warme Worte und wohlmeinende Gesten ausgelösten Völkerwanderung Richtung Deutschland offenbart sich, dass das man gerade Entscheidungen von enormer Tragweite wie in der Asylpolitik nicht von der aktuellen, persönlichen Gefühlslage abhängig machen sollte.

Nach dem Motto „emotional vor rational“ scheint man aber auch im Sächsischen Kultusministerium Entscheidungen zu fällen.

So berichtet die „Sächsische Zeitung“, Lokalausgabe Kamenz in der Ausgabe vom 1. Oktober 2015 über das Auslaufen des Ganztagesangebot (GTA) „Bogensport“ in der Oberschule Elstra. Nach sechs Jahren ist man im Kultusministerium nämlich zu der Auffassung gekommen, Bogensport sei „gefährlich“. Die Unfallkasse Sachsen würde Bogensport nicht mehr versichern, deshalb könne man dieses GTA nicht mehr fördern.

Den Beweis für die unterstellte „Gefährlichkeit“ von vereinsmäßig organisiertem Bogensport bleibt man natürlich schuldig. Vermutlich ist die vermeintliche „Gefährlichkeit“ ein reines Fantasieprodukt einiger Amtspersonen, die zu viel schlechte Indianer- oder Robin-Hood-Filme konsumiert haben und deren Vorstellungskraft es nicht hergibt, dass man einen Pfeil auch auf eine Ringscheibe abschießen kann und nicht nur auf zwielichtige Cowboys im Wilden Westen oder mittelalterliche Steuereintreiber aus Nottingham.

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Jens Wegemann versteht die Welt nicht mehr. Seit gut sechs Jahren brachte ser Bischheimer Schülern der Elstraer Oberschule das Bogenschießen bei. Nun darf er das nicht mehr. Das Ganztagsangebot (GTA) Bogensport ist vom Plan gestrichen.

Der Grund ist ein administrativer. Der von Jens Wegemann geleitete Kurs wird nicht mehr gefördert, weil das Ministerium das Bogenschießen als gefährliche Sportart eingestuft hat. „Im Rahmen von Ganztagsangeboten dürfen nur Sportangebote durchgeführt werden, bei welchen die Schüler durch die Unfallkasse Sachsen versichert sind“, teilt Dirk Reelfs, Pressesprecher des sächsischen Kultusministeriums, auf SZ-Anfrage mit. Bogenschießen gehöre nicht dazu.

Seltsam nur, dass man bei der Interntesuche nach „gefährlichen Sportarten“ nicht auf Bogenschießen stößt und entsprechende Statistiken ein ganz anderes Bild liefern:

Gesundheitsberichte NRW – Sportunfälle auf Seite 12/13:

Todesfälle sind im Sport ein außergewöhnlich seltenes Ereignis. Die Statistik der größten deutschen Sportversicherung weist etwa einen Todesfall auf 100.000 Sporttreibende im Jahr aus. Über 70 % der Fälle sind in Herz-Kreislaufkrankheiten bzw. -komplikationen begründet, nur jeder fünfte ist die Folge eines Unfalls. Damit resultiert der Tod in der weitaus überwiegenden Zahl der Ereignisse nicht unbedingt aus einem sportartspezifischen Risiko. Er hätte auch bei irgendeiner anderen anstrengenden Tätigkeit eintreten können.
In der Reihenfolge der Sportarten liegt Fußball mit 28,2 % aller tödlich verlaufenen Unfälle vor Tennis mit 8 % und Radsport mit 6,3 %. Es folgen Turnen (5,4 %), Tischtennis (4,5 %) und weitere. Der Anteil der traumatisch bedingten Todesfälle variiert von Sportart zu Sportart recht stark. So finden sich im Luft- oder Motorsport fast ausschließlich traumatische also unfallbedingte Todesfälle, während im Fußball oder Handball nicht einmal jeder zehnte unter diese Kategorie fällt. Interessanter ist es daher, nach dem relativen Risiko zu fragen, mit dem ein Unfall mit Todesfolge innerhalb einer bestimmten Sportart auftritt.
Setzt man die Todesfälle in ein Verhältnis zu den Mitgliederzahlen in den jeweiligen Sportarten, dann geht man im Luft-, Rad- oder Motorsport ein gegenüber dem Gesamtdurchschnitt aller Sportarten 20 bis 40fach höheres Risiko ein, einen tödlichen Unfall zu erleiden.
Der zuvor wiederholt als Unfallschwerpunkt identifizierte Fußball weist dagegen ein gegenüber
dem Luftsport hundertfach geringeres Risiko auf.(…)
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Die Positionen von Kegeln, Schießsport und Behindertensport sind nicht weiter zu interpretieren,
da die den Unfällen zugrunde liegenden Situationen zu unterschiedlich sind. Auch Ski und Reiten nehmen eine Sonderstellung ein, da man sich in beiden Fällen mit relativ großer Geschwindigkeit im freien Gelände bewegt, wobei im Falle des Reitens die vergleichsweise große Masse des Pferdes eine Rolle spielt. Betrachtet man die Nicht-Wassersportarten, d.h. die Sportarten, bei denen die Gefahr des Ertrinkens nicht besteht, so scheint das Risiko von Unfällen mit Todesfolge recht eng an die Geschwindigkeit gekoppelt zu sein, mit der Kollisionen bzw. Stürze stattfinden.(…)

Geht man davon aus, dass auch die aktuellen Zahlen nicht wesentlich von der aus dem Jahr 2003 stammenden Statistik abweichen dürften, dann müsste eigentlich zuerst das Reiten von den Ganztagesangeboten ausgeschlossen werden. Dem ist aber nicht so, wie z. B. ein Blick auf die Homepage der nur wenige Kilometer von Elstra gelegenen 2. Oberschule Kamenz offenbart:

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Wenn selbst die „Risikosportart“ Reiten versicherbar ist, dann sollte es das statistisch gesehen völlig harmlose Bogenschießen erst recht sein.

Geradezu lächerlich ist die Position des Kultusministeriums, wenn man die Punkte zitiert, die beim Therapeutischen Bogenschießen, als besonders positiv hervorgehoben werden:

Es fördert in idealer Weise Körperspannung, Koordination und Konzentration und trägt damit zur Einheit von Körper, Geist und Seele bei.

Wirkungsweisen des therapeutischen Bogenschießens:
• Kräftigung der gesamten Muskulatur, Fuß- bis Nackenmuskulatur
• Besondere Kräftigung der Rücken-, Schulter- und Brustmuskulatur
• Verbesserung der Koordination
• Verbesserung der Körperhaltung
• Positiver Einfluss auf die Atmung
• Verbesserung des Konzentrationsvermögens
• Mentales Training
• Verbesserung der Muskelausdauer
• Erleben von Anspannung und Entspannung
• Förderung und Schärfung der eigenen Körperwahrnehmung
• Förderung des Selbstbewusstseins
• Hoher Spaßfaktor
• Stressbewältigung

Bogenschießen vereint Dinge, die als Gegensatz wahrgenommen werden:
• Stille vs. Aktivität
• Spannung vs. Entspannung
• Meditation vs. Alltagsstress
• Festhalten vs. Loslassen
• Zielstrebigkeit vs. Zögern
• Konfrontation mit Misserfolg, Frustrationen und überhöhtem Leistungsdruck vs. Erfolgserlebnis, Ansehen, gestärktes Selbstvertrauen und Disziplin

Indikationen:
• Personen mit Wirbelsäulenproblematik
• Personen mit anderen orthopädischen Diagnosen
• Personen mit körperlichen Einschränkungen und/ oder geistiger Behinderung
• Personen mit Angstsymptomatik
• Personen mit Konzentrations-, Lernschwächen und ADHS
• u.v.m.

Die Argumentation des Kultusministerium passt hinten und vorne nicht zusammen.

Es scheint, als dass hier die subjektive Wahrnehmung nach dem Motto „Schießen ist gefährlich, Reiten ein harmloser Mädchensport“ die Ursache des Übels ist und die Unfallkasse Sachsen als Begründung nur vorgeschoben wurde.

Da auf den Internetseiten der Unfallkasse Sachsen weder die Suchbegriffe „Bogensport“, „Risikosport“ oder „gefährliche Sportarten“ Treffer lieferten, habe ich dort angefragt und um eine Stellungnahme zum geschilderten Sachverhalt gebeten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in einem Zeitungsartikel in der Sächsischen Zeitung, Lokalausgabe Kamenz vom 1.10.2015 über das Auslaufen des Ganztagesangebot „Bogensport“ in der Oberschule Elstra wird behauptet, die Unfallkasse Sachsen stufe „Bogensport“ als „gefährlich“ ein und deshalb sei diese Sportart nicht versicherbar und könne deshalb vom Kultusministerium nicht mehr gefördert werden.

Bitte teilen Sie mir mit, ob diese Darstellung zutreffend ist und falls ja, auf Grund welcher Statistiken „Bogensport“ gefährlicher als andere, weiterhin versicherte Sportarten sein soll.

Besonders würde mich dann auch interessieren, wie viele Unfälle es in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit „Bogensport“ gab, die die Unfallkasse Sachsen zu regulieren hatte oder wenigstens ihr zur Kenntnis gereichten.

Für eine zeitnahe Antwort bedanke ich mich im Voraus.

Die so gut wie nichtssagende Antwort erhielt ich einen Tag später:

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 01.10.2015 über unser Kontaktformular.

Als gesetzlicher Unfallversicherungsträger haben wir unsere Mitgliedsunternehmen zu beraten, Rechtsgrundlage stellt § 21(2) des SGB VII dar. Anfragen von Privatpersonen beantworten wir grundsätzlich nur im Ausnahmefall.

Sie verweisen zum Auslaufen des Ganztagesangebotes Bogenschießen in der Oberschule Elstra auf einen Zeitungsartikel der Sächsischen Zeitung, Lokalausgabe Kamenz vom 01.10.2015.

Die Bewilligung von Sportangeboten im Rahmen der Förderung von Ganztagesangeboten liegt im Verantwortungsbereich des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus und damit dessen Entscheidungshoheit. Den Schulen ist dieser Sachverhalt inclusive der richtlinienkonformen Verfahrensweise nach unserem Wissen bekannt. Die Umsetzung der
Richtlinie obliegt den Schulen auf Grundlage des Schulgesetzes.

Die Schulleitung der Oberschule Elstra kann sich gern an uns wenden, wenn z. B. weiterführende Fragen zum Versicherungsschutz der Schüler bestehen. Unsere Statistiken enthalten im Übrigen keine Angaben zu
Unfällen beim Bogenschießen.

Mit freundlichen Grüßen
Unfallkasse Sachsen

im Auftrag

Ich habe deshalb meinen Landtagsabgeordenten gebeten, sich der Sache anzunehmen und hoffe, dass die Unfallkasse Sachsen gegenüber einem Mandatsträger etwas auskunftsfreudiger ist.

Über den weiteren Fortgang und Klärung der Frage, wer wann das Bogenschießen zur „gefährlichen Sportart“ erklärt und vom Unfallschutz ausgenommen hat, werde ich weiter berichten. Fortsetzung folgt.

Nachtrag 5. Oktober 2015:

Mein Leserbrief wurde heute in der Lokalausgabe Kamenz der „Sächsischen Zeitung“ abgedruckt.

8 Kommentare

  1. Natürlich ist Bogenschießen eine gefährliche Sportart, man hantiert mit einem Gerät, das seit der Steinzeit eine Waffe darstellt. Ich würde empfehlen, Sicherheits-Pfeile zu verwenden, Polster-Pfeile sind Pflicht im Unterricht von Kindern und Anfängern! Shoot Straight!

  2. Auch wenn der Eintrag von Herrn Stecher schon eine Weile her ist, muss ich hier doch mal den schmerzen meiner Lachmuskulatur verbal Ausdruck verleihen.
    Gerade Herr Stecher, der in unzähligen Shows jegliche allgemein anerkannte Sicherheitsregeln im Umgang mit Pfeil und Bogen missachtete, will hier den Sicherheitsapostel heraushängen lassen?
    Und dazu gleich noch pauschal alle Kinder zum Training mit Polsterpfeilen verdammen – diese haben ein völlig eigenes Flugverhalten und machen es unmöglich, realistisch zu trainieren.
    Das ist, als müssten jugendliche Sportschützen mit Platzpatronen auf Scheiben schießen…

    Herr Krainz: hat Ihre Anfrage an den Landtagsabgeordneten etwas ergeben?

  3. Herr M, den klassischen Fehler den ihnen offenbar im Denken unterläuft ist, dass man natürlich Bogenschießen für Kinder oder in Schulen, NICHT mit einer Bühnen-Show oder Ähnlichem gleichsetzen kann. Ist doch logisch, sonst müsste man ja alle Artisten, jegliche Action-Szenen in Frage stellen, denn das könnten Kinder ja auch nachmachen. Wen interessiert ein „anderes“ Flugverhalten von Polsterpfeilen, wenn es um die SICHERHEIT von Kindern geht. Ich finde Sicherheits-Pfeile als die einzige seriöse Art Kindern das Bogenschießen näherzubringen. Wichtig ist, dass die Polster-Pfeile als genau so gefährlich wie Pfeile mit Spitzen gehandhabt werden, dass alle Sicherheitsregeln die beim Bogenschießen gelten, auch mit den ungefährlichen Pfeilen eingehalten werden. https://www.youtube.com/watch?v=VBjLghVC1jU

  4. Da müssen wir aber vorsichtig sein, dass die Kochkurse noch stattfinden dürfen. Schließlich galten Messer nicht nur in der Steinzeit als gefährlich …
    Immer wenn man denkt, dass die Latte für Beitragsinhalte schon zu tief liegt, da kommt einer und läuft aufrecht unten durch. Stimmts Herr Stecher?

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