Bild-Boykott: Couchkartoffels heldenhafte Zivilcourage

0u_2015_mt_bildboykott_b

Meine Einschulung liegt nun schon ein paar Jahrzehnte zurück. Der Schulweg führte durchs Dorf und vorbei an den beiden Tante-Emma-Läden. Sowohl vor dem „EDEKA“ als auch der „VIVO“-Konkurrenz warben Aufsteller und Fähnchen für die „Bild“-Zeitung. Das waren Auslöser für rezitierte Sprüche wie „Bild war dabei – Bild sprach mit der Leiche“, die man als Zweitklässler furchtbar toll fand und die man zu Hause, bei Nachbarn oder Verwandten aufgeschnappt hatte. Wenn ich mich richtig erinnere, kostete ein „Bild“-Exemplar damals 30 Pfennig und genau wie heute hat kaum jemand zugegeben, das vermutlich damals wie heute meistverkaufte täglich erscheinende Presseerzeugnis zu kaufen.

40 Jahre später, im Jahr 2015, könnte man meinen, dass es eine brandneue Erkenntnis ist, dass die „Bild“ ein genau so reißerisches wie hetzerisches Käseblatt ist, das schnell mal die Realität an die eigenen Schlagzeilen anpasst und Einzelpersonen, Gruppen oder auch ganze Nationen gerne mal diffamiert. So neu scheint diese Erkenntnis für manche zu sein, dass sich nun ein zivilcouragierter, heldenhafter Kiosk-Besitzer nach dem anderen berufen fühlt, die „Bild“ aus seinem Verkaufsstand zu verbannen und es dem Axel-Springer-Verlag mal so richtig zu zeigen. Und das Ganze natürlich, ganz selbstslos, über soziale Netzwerke verbreitet und sich so der Sympathie in Form zahlreicher „Likes“ der blökenden Masse sicher sein kann.

Gerade so, als ob es besonders mutig wäre, gegen die „Bild“ zu sein und man mit der Abneigung gegen dieses Pamphlet ganz alleine gegen Heerscharen fanatischer, bekennender „Bild“-Käufer stände. Obwohl es längst ein auf „Bild“-Bashing basierendes, florierendes Geschäftsmodell gibt und einige der schärfsten Kritiker nur deshalb so gut im Geschäft sind und Geld verdienen, weil ihnen die „Bild“ jeden Tag die Munition liefert, die sie zu deren Bekämpfung brauchen. Ohne „Bild“ wäre mancher „Bild-Kritiker“ schlichtweg arbeitslos.

Doch zurück zu den sozialen Netzwerken. Natürlich ist es genau umgekehrt. Wer es wagt, den Verkaufsboykott nicht gut zu heißen, der ist von der Schafherde zum Abschuss freigegeben. Feuer frei auf den vermeintlichen „Bild“-Leser, an dem sich die Inhaber der korrekten Gesinnung genüsslich abarbeiten können. Die Gleichen, sonst immer „Vielfalt“ und „Toleranz“ predigen, verabscheuen schon den Gedanken an „Vielfalt“ und „Toleranz“, zumindest wenn es um missliebige Presseerzeugnisse geht. Der Typ hinterm Verkaufstresen als Richter über gut und böse, als selbst ernannte Zensurbehörde, Inquisitor und Verbraucherschützer in Personalunion.

Erschreckend ist die schiere Masse der Sympathisanten solcher Bevormunder, die diesen billigen Aktionismus ohne geringstes persönliches Risiko überschwänglich feiern und damit ihre Sehnsucht nach der Supernanny, die ihnen selbst die Entscheidung, welche Zeitung man gefälligst kaufen darf, abnimmt.

Das Schöne an einer zumindest halbwegs freien Marktwirtschaft wie unserer ist, dass der Verbraucher entscheiden kann, ob er die „Bild“ durch deren Kauf unterstützt oder eben nicht. Niemand wird gezwungen, die „Bild“ zu kaufen und „taz“, „Neues Deutschland“ oder „Junge Freiheit“ zu ignorieren. Oder eben umgekehrt.

Der Konsument ist mündig genug, diese Entscheidung selbst zu treffen. Ich respektiere die persönlichen Präferenzen und politischen Überzeugungen jedes Menschen. Dazu gehört aber auch die Entscheidungsfreiheit, etwas zu tun oder es zu lassen. Wenn ein Kioskbesitzer meint, diese Entscheidung für alle seine Kunde im Vorfeld treffen zu müssen, dann ist das ein höchst unprofessionelles Verhalten. Persönliche Vorlieben, politische Ansichten oder religiöse Überzeugungen sind Privatsache und vom Dienstlichen zu trennen. Wer damit nicht klar kommt, soll sich einen anderen Job suchen, wo er keine Gewissenbisse erleiden muss, wenn er einen Kunden bedient und dessen Bedürfnisse befriedigt.

Sonst besteht die Gefahr, dass heute der „Empörte“ die „Bild“ aus dem Regal nimmt, morgen der Homöopathiefan die „Medical Tribune“ und übermorgen trifft es dann „Auto Motor Sport“, weil die führerscheinlose Ökofetischistin aus der Spätschicht nur Fahrräder gut findet.

In den meisten Läden, die Zeitungen verkaufen, werden auch Spirituosen und Tabakwaren feil geboten. Wenn sich da manche Besitzer schon so ums geistige Wohlbefinden ihrer Kunde sorgen, dass sie diese vor den gar schröcklichen „Bild“-Ergüssen bewahren müssen – warum nicht auch vor tatsächlichen Gefahren für Lunge, Leber & Leben? Vom „Bild“-lesen alleine hat wohl noch niemand die Kontrolle über seine Auto verloren und unbeteiligte Dritte tot gefahren.

Für einen halbwegs freiheitlich denkenden Menschen ist der Gedanke an die „Bild“ schlimm. Noch schlimmer ist aber der Gedanke daran, dass sich manche Mitmenschen anmaßen darüber entscheiden zu müssen, ob man „Bild“ überhaupt lesen darf.

Man muss „Bild“ nicht mögen, man muss sie auch nicht kaufen.

Aber diese Entscheidung soll, bitteschön, jeder für sich selbst treffen dürfen.

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.