Shuriken & Ritsch-Ratsch-WUUUUUMMMMMM!

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Mein erster Videorekorder war so ein Ungetüm von Universum, also genau genommen ein Grundig-Gerät unter Quelle-Hausmarken-Label. VHS hatte sich damals, Mitte der 80er Jahre, schon weitestgehend gegen die konkurrierenden Systeme durchgesetzt und in fast jedem Kaff gab es eine Videothek, in der man sich gegen ein paar Mark Futter fürs Abspielgerät ausleihen konnte.

Oft waren das schnell und billig gemachte Actionfilme, die ausschließlich für den Videomarkt produziert wurden. Als Heranwachsender war man da allerdings nicht so wählerisch, Hauptsache, es wurde geballtert und/oder halbwegs gut choreographierte Martial Arts Kampfszenen geboten.

Da störte es auch nicht, wenn die Helden oder Bösewichter zehn Meter aus dem Stand springen, aus nächster Nähe abgefeuerten Maschinengewehrsalven ausweichen oder über 150 Meter zielgenau ihre Wurfsterne ins gegnerische linke Auge werfen konnten. Auch die extrem übertriebene Schusswaffenwirkung nahm niemand so richtig ernst. Einen auf den Schützen zurasenden 40-Tonner durch einen einzigen, gezielten Motorblock-Schuss aus einem .44er Revoler zu stoppen? Oder ein Getroffener, der nach Beschuss mit einer 12er Flinte zehn Meter rückwärts durch die Luft fliegt? Okay, da sah zwar cool aus und machte auf einen 16- oder 17-Jährigen mächtig viel Eindruck, aber es war klar, dass man da der Physik etwas nachgeholfen hatte. Es war eben Hollywood.

Das mit dem .44er und der Pumpflinte konnte man zwar nicht selbst überprüfen, aber Wurfsterne waren frei erhältlich und konnten im heimischen Garten auspropiert werden. Das Wurfsternwerfen verlor aber schnell seinen Reiz, da die Dinger auch nicht annähernd so weit, geschweige denn zielgenau, geworfen werden konnten, wie im Actionfilm vorgemacht. Meistens prallten sie weitab des anvisierten Holzbrettes irgendwo dagegen oder landeten direkt im Gras. Mit jedem popeligen Stahldart ließen sich da präzisere und durchschlagendere Treffer erzielen. Aber beim Shuriken konnte man sich ein bisschen wie ein Super-Kung-Fu-Ninja fühlen, während ein Dartwurf maximal Assoziationen zum bierseligen Durchschnitts-Engländer-beim-Pub-Besuch hervorrief.

Ähnlich verhielt es sich mit den in zahlreichen Billigfilmen ebenfalls zur Standard-Staffage zählenden „Butterflymessern“: Das sah unheimlich beeindruckend aus, wie die Akteure diese Schneidwerkzeuge unfallfrei durch ein bischen herumfuchteln öffnen und schließen. Das klappte mit etwas Übung sogar auch in der Realität. Allerdings gibts es mindestens ein halbes Dutzend bessere Öffnungsmechanismen für Klappmesser, die schneller und weniger umständlich funktionieren:

In Europa ist es eher unüblich, Messer dieses Typs als Stichwaffe zu verwenden, da ihre korrekte und sichere Handhabung sehr viel Übung und Können erfordert. Die meisten Öffnungstechniken des Balisongs sind eher auffällig und bei billigen Modellen deutlich hörbar. Dadurch werden verdeckte Messerangriffe aus nächster Nähe bei anfänglich nicht gezogener Klinge erschwert, Einschüchterungen beim Gegner werden jedoch begünstigt. Auch Griff- und Handwechsel durchzuführen fällt ungeübten Benutzern sehr schwer. Aufgrund der bei billigen Exemplaren häufig sehr mangelhaften Verriegelung ist ein kämpferisches Zustechen eher schwierig.

Darum geht es aber im Medium Film nicht, ein simples Stiletto ist einfach zu schnell für schöne Bilder. Aus dem gleichen Grund kamen in den B-Movies gerne gekürzte Vorderschaftrepeteriflinten mit Pistolengriff zum Einsatz. Die wären zwar auf Grund der kurzen Magazinröhre und der fehlenden Möglichkeit eines stabilen Anschlags genau das Gegenteil von zielgerichteter Feuerkraft, aber es sah gut aus und das Ritsch-Ratsch-WUUUUMMMM macht natürlich mehr her, als der kurze, kaum wahrnehm- bzw. darstellbare Ladeimpuls einer Selbstladeflinte.

Letzen Endes konsumierte man solche Filme aber nicht, um etwas über Schusswaffen, Ziel- oder Wundballistik zu lernen, sondern als sinnfreien Zeitvertreib. Den wenigsten Videokonsumenten kam es in den Sinn, die teils haarsträubende Spielhandlungen mit einer Dokumentation zu verwechseln.

Der kleinere Teil derer, die das für bare Münze nahmen, fällt nicht weiter ins Gewicht. Die scheinen sich für eine Karriere als Drehbuchautor für Serien wie „Alarm für Cobra 11“ und anderen Tinnef entschieden zu haben, in denen man die Tradition der aberwitzigen und völlig unrealistisch dargestellten Waffen- bzw. Sprengstoffwirkung der B-Movies bis heute fortführt.

Irgendwie muss es aber der große Teil der 80er-Jahre-Action-Video-Gläubigen geschafft haben, zumindestens als Beamter in der Ministerialbürokratie am deutschen Waffengesetz mitzuarbeiten.

Anders ist es nämlich nicht zu erklären, weshalb ausgerechnet Wurfstern, Butterflymesser oder kurze Repetierflinten verboten sind. Dieser Verbotsirrsinn umfasst mittlerweile sogar Garderobenhaken, die nur aussehen wie Wurfsterne, von der verhängnisvollen Schlagring-Clutch ganz zu schweigen. Diese Gegenstände bzw. Waffen sind nicht mehr gefährlich als andere, nicht verbotene Dinge auch. Im Gegenteil, eine gesetzeskonforme Repetierflinte verfügt sogar über die wesentlich höhere Feuerkraft, als die verbotene, kurze. Auch wird es ein Mordopfer herzlich wenig interessieren, ob die tödliche Klinge zu einem legalen Käse-, Taschen- oder Fahrtenmesser oder einem bösen Balisong gehörte.

Dem Messer ist es genau so egal. Der Typ, der die Klinge führt, ist nun mal das Problem.

Wenn Sie also mal einen Menschen treffen, der sich jedesmal darüber wundert, dass die Japaner trotz ihrer Wunderninjas nicht zumindest die Sprungdisziplinen der Leichathleten dominieren:

Das muss dann so ein 80er-Jahre-Videojunkie sein, der später am Waffengesetz mitgewirkt hat.

3 Kommentare

  1. Mal wieder treffend dokumentiert,danke Benedikt.

    Das erinnert mich daran das Hamburg als erstes Bundesland diese Messer und Sterne verboten hat.
    Nur eine Woche später las ich in der BILD das in HH bei einem Überfall auf einen Kiosk der Ladenbesitzer mit einen ACHTUNG : angespitzten Schraubenzieher niedergestochen wurde !
    Ich erspare mir hier und jetzt jeglichen weiteren Kommentars.
    Der wissende Leser weiß sowiso das dem Kriminellen egal ist was verboten ist.

    In diesem Sinne… 🙁

  2. „Auch wird es ein Mordopfer herzlich wenig interessieren, ob die tödliche Klinge zu einem legalen Käse-, Taschen- oder Fahrtenmesser oder einem bösen Balisong gehörte.“

    Du hast ein wichtiges, potentielles Mordinstrument vergessen: Das Lebkuchenmesser!!

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